Abgehauen
das KOMITEE FÜR UNTERHALTUNGSKUNST gebeten hatte, statt dessen an den TAGEN DER UNTERHALTUNGSKUNST DER DDR IN DER Č SSR teilzunehmen, was ich mit Erfolg tat. Das Versprechen des Kulturministeriums, die Reise später antreten zu dürfen, wurde nicht gehalten, mein Antrag nicht einmal beantwortet.
- Obwohl alle meine Jazzkonzerte in den vergangenen Jahren ausverkauft waren, gibt es keine neuen Angebote. Von 15 im Vorjahr zugesagten Konzerten sind 9 ersatzlos und unbegründet gestrichen worden.
Dies ist eine unvollständige Auswahl von Repressalien, von denen angekündigt worden war, daß es sie nicht geben würde.
- Neuerdings werden mich betreffende unwahre Informationen verbreitet wie z. B. die Behauptung des Kulturministers, ich hätte Leute unter Druck gesetzt, um ihre Unterschriften unter die Petition zu erwirken.
- Falsche Geschichten werden in Umlauf gebracht. In Erfurt hat ein Mann mir gegenüber öffentlich behauptet, ich würde über ein Dollarkonto in der Schweiz verfügen. Die berufliche Tätigkeit dieses Mannes, er ist Mitarbeiter der Staatssicherheit, läßt vermuten, daß ihm nicht ein Gerücht diente, sondern eine gezielte Verleumdung.
Schmerzlich ist die durch solche Mittel erzielte Isolation. Erste Bekannte verzichten auf Besuche; bei der Auszahlung der Jahresendprämie wagten es in der DEFA unter Hundert noch fünf, mir die Hand zu geben; Eltern verbieten ihren Kindern, weiterhin mit meinen Kindern zu spielen; auf Parteiversammlungen wird gesagt, Krug spiele zwar Parteisekretäre, führe aber das Leben eines Bourgeois, man müsse sich von solchen Leuten trennen; eine Berliner Staatskundelehrerin sagt ihren Schülern, Schauspieler verkauften für Geld ihre Meinungen, insbesondere Krug sei ein Krimineller, der schon mehrmals im Gefängnis gesessen habe; einem befreundeten Bildhauer wird von Armeeoffizieren, seinen Auftraggebern, geraten, sich von mir zu distanzieren; Beamte stellen in der Nachbarschaft Recherchen darüber an, wen ich wann und wie oft besuche; auf einem Potsdamer Forum wird öffentlich geäußert, ich sei ein Staatsfeind und ein Verräter an der Arbeiterklasse.
Das war ich nie, und ich werde es nie sein. Während meiner letzten Konzerttournee im Winter ‘76/’77 bin ich von Kriminalbeamten offen observiert, meine Bühnenansagen sind demonstrativ mitgeschrieben worden; Freunde unserer Konzerte beklagten sich, es habe kein freier Kartenverkauf stattgefunden; Fotografen sind mit Gewalt aus den Sälen entfernt worden; es gab sortierte Zuhörer, vor allem in den vorderen Reihen, die während des gesamten Konzerts finstere Mienen zur Schau trugen und demonstrativ keine Hand rührten; es gab verabredete Feindseligkeit aus dem Publikum, die einem Bühnenkünstler die Arbeit unmöglich macht, die ihn kaputtmacht. Ich weiß jetzt, welche Unzahl von Möglichkeiten es gibt, Menschen zu entmutigen und zu deprimieren. Dagegen waren Geschmacklosigkeiten, die ich bei der Premiere des Films »Spur der Steine« erlebt habe, vergleichsweise plump und schmerzarm.
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß es verschiedene Meinungen geben muß und daß es nicht verboten sein darf, sie öffentlich auszutragen. Ich bin davon überzeugt, daß Biermann unserem Land fehlt. Nach meinen Erfahrungen sehe ich keine Chance, hier weiter zu existieren. Die Situation mag für einen Schriftsteller eine andere sein, der für seine Arbeit nur Papier und Bleistift braucht. Nach reiflichem Bedenken beantrage ich für meine Familie und mich die Ausreise aus der DDR in die BRD, wo meine Mutter und mein Bruder leben.
Mein Haus in 111 Berlin, Wilhelm-Wolff-Str. 15, überlasse ich dem Staat. Es ist das materielle Ergebnis langjähriger fleißiger Arbeit. Ebenso überlasse ich der Gemeinde Vipperow im Kreis Röbel das Grundstück, das ich als Vergünstigung nach dem Fernsehfilm »Wege übers Land« 1968 kaufen konnte.
Ich hoffe sehr, daß meinem Antrag stattgegeben wird und bitte darum, meine Umzugsangelegenheiten ohne Verzug, aber nicht überstürzt regeln zu können.
Manfred Krug
Einige, darunter auch Stefan Heym, haben über den November ‘76 was geschrieben, Chroniken und Protokolle.
Wir werden sehen, wie lange sie das Zeug in den Schubkästen verstecken werden. Bald wird es stiller werden, die Dichter wandern wieder ab in die Welt ihrer verklausulierten Geschichten, die sie gern im alten Griechenland spielen lassen und die das einfache Volk kaum liest und versteht.
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