Abgehauen
tatenlos und so weiter.
Was ist denn jetzt los? Was soll mir Jugoslawien? Frank Beyer kommt mir verwirrt und zerrissen vor. Er wischt sich wieder wie früher mit dem Taschentuch über die Handflächen. Drei Filme haben wir miteinander gemacht, den ersten 1959, er hieß »Fünf Patronenhülsen«, ein Polit-Märchen, und doch eine gute Arbeit. Die beiden anderen waren »Spur der Steine« und »Das Versteck«. Der eine ist seit 1965 eine Legende, der andere wird vielleicht eine werden. Ein Film kann nie so gut sein wie seine Legende. Die lange verbotenen »Sonnensucher« von Konrad Wolf waren großartig, der endlich aufgeführte Film eher schwach.
Ich fühle mich immer unfähig, über Sachen wie die Weltlage oder den Weltkrieg zu sprechen, aber aus Erleichterung darüber, daß wir unser Thema einer verrinnenden Freundschaft verlassen können, gehe ich auf Jugoslawien ein. Ich könne an einen solchen Konflikt schon deshalb nicht glauben, weil die jugoslawischen Soldaten bei einem Einmarsch ihre Hände nicht so stramm an die Hosennaht legen würden wie die tschechischen das klugerweise gemacht haben und wie wir es machen würden und weil die Amerikaner nicht zusehen würden und weil die Chinesen schon lange auf den Appetit der Sowjetunion und so weiter. Frank Beyer findet mich lächerlich. Wir finden uns gegenseitig lächerlich.
Frank Beyer geht, ich habe das Gefühl, ihn nicht wiederzusehen. Er sagt: »Du hast meine Telefonnummer, ich bin immer zu erreichen, falls du Hilfe brauchst.« Und ich verstehe, mißverstehe vielleicht, daß er Vermittlung meint. Er will, daß ich dableibe. Er will seine Filme wiedersehen. Er würde die richtigen Leute aufsuchen, falls ich zu feige oder zu stolz wäre, es selbst zu tun. Solange wir uns kennen, berühren sich zum erstenmal unsere Wangen. Es war auch das letzte Mal.
Am Abend klingelt es immer wieder, unangemeldet kommen Freunde, darunter solche, die ich lange nicht gesehen habe. Zuerst Hilmar Thate und Angelica Domröse, ein nicht mehr ganz junges, fütterndes Schauspielerpaar. Beide standen auf der Liste. Er gehört zu denen, die etwas geschrieben haben. »Lieber Werner, Deinem Wunsch nach Geschriebenem habe ich entsprochen …«, so beginnt sein Brief an Lamberz vom 2. Dezember 76, in dem nichts über die Zurücknahme der Unterschrift steht, nur daß wir den Klassenfeind draußen lassen, denn er hat verleumdet, und wir sollten doch lieb und vertrauensvoll miteinander sein, so wie das immer war. Es ist ja nichts dagegen zu sagen, aber je öfter ich diesen Ringelwurm von einem Brief lese, desto weniger gefällt er mir. Wir küssen uns, wir setzen uns, ich reiche den Ausreiseantrag rüber, es folgen die zehn stillen Minuten, unterbrochen nur durch gelegentliche Entrüstungsschnalzer. Mein Antrag wird nicht mißbilligt, ich werde verstanden, und doch scheint die alte Solidarität irgendwie dünner geworden, mit feinen aber hörbaren Unterschieden reden wir von derselben Sache. Ist es noch dieselbe Sache? Es gebe auch glücklichere Nachrichten, sagt Hilmar, er habe ein Angebot für das erste Halbjahr 78, in Basel Theater zu spielen, und heute habe man ihm und seiner Frau erlaubt, in der nächsten Woche in die Schweiz zu reisen, sich das Theater und das Land einmal anzusehen. Einmal anzusehen. Ich denke an Frank Beyers Worte von damals: Sie werden die Briefe auf einen Haufen legen – egal, was drinsteht – und einteilen in die, die etwas geschrieben haben und die, die nichts geschrieben haben. Ich gönne den beiden die Reise, aber neidisch bin ich doch. Ich kann ihnen nichts vorwerfen, so gern ich es tun würde. Sie haben sich einen winzigen Hauch geschickter verhalten, dafür gibt’s ein feines Zuckerbrot. Noch ein Schauspielerpaar kommt, Annekatrin Bürger und Rolf Römer. Wir küssen uns, wir setzen uns, zehn stille Minuten. Römer sagt: »Ich habe neue Rufmordgeschichten mitgebracht. In den Bezirken Rostock und Cottbus wird auf Bezirksleitungsebene der Partei von Manfred Krug offiziell als von einem Kriminellen gesprochen, gegen den genug Material vorliege, um jederzeit den Staatsanwalt zupacken zu lassen.« Ich spüre, wie mein Heldengefühl anfängt zu bröckeln. Wir sitzen da, ich verberge meine Unsicherheit im Plaudern. Die Frauen gehen zwischendurch in die Küche, wo sie Ottilie beim Kaffee helfen und ein bißchen weinen. Wir trinken eine Flasche Weinbrand, Teile des Gesprächs entgehen mir, ich denke an meine Kinder, an Ottilie, sehe irgendeine Straße vor einem
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