Abgehauen
wäre es ein Barockschloß. Wo man hinsieht, kleine Überraschungen. Der Wintergarten aus feinstem Napoleonmarmor mit Springbrunnen, die Schwingtür zwischen Diele und Windfang mit ihren geschliffenen Scheiben, die drei fein gestrebten weißen Bogentüren zur Terrasse, der Kamin, die Parkettböden, der wohlumfriedete Garten mit seinen alten Bäumen, Hecken, den versteckten Winkeln und dem Teehäuschen. Elf Jahre Arbeit.
Die Schauspielerin Marita Böhme aus Dresden kommt. Sie liest ihre zehn Minuten runter und sagt: »Schöne Scheiße, du.«
Wir trinken Kaffee. Sie sagt: »Warum gibst du das Haus nicht deinem Vater?« »Was soll der mit dem großen Haus?« Sie sagt: »Und deine Möbel, kannst du die mitnehmen?« »Ich hoffe es.«
»Meinst du nicht, daß deine Möbel allesamt zu Museumsstücken erklärt werden könnten?« »Möglich ist es.« »Dann bleiben sie hier.« »Das kann schon sein.« »Gibt es da ein präzises Gesetz?«
»Das weiß ich nicht«, sage ich, »aber wenn es ein Gesetz gibt, dann ist das völlig Wurscht, ob es ein präzises ist oder ein anderes. In keiner Goldgräberstadt des Wilden Westens ist es je so Wurscht gewesen, ob es Gesetze gibt oder nicht, wie es hier Wurscht ist. Ob meine Sachen hierbleiben oder mitgehen, das entscheidet irgendwer hinter irgendeinem Schreibtisch. Abschiedsgeschenke überreiche ich ihnen genug.«
Ihr Auto sei kaputt, ob ich ihr nicht eins verkaufen könne. Ich biete ihr den Käfer, den alten Jaguar und den Trabant zur Auswahl an. Sie will es sich überlegen. Abends sind wir bei Maria Moese, der Fernsehansagerin, und ihrem Mann Willi eingeladen. Es wird getrunken, gelacht und geheult. Ottilie nimmt eine Beruhigungspille, die Schauspielerin Barbara Dittus ruft an: »Am 4. Mai werdet ihr ausreisen.« Ich: »Woher weißt du das?«
Barbara: »Vom Kollegen Handel, er ist FDGB-Vorsitzender beim BERLINER ENSEMBLE.« »Woher weiß der das?«
Barbara: »Er muß es irgendwo aus dem ZK haben. Er ist ein ganz penibler Mann, bisher hat alles gestimmt, was er gesagt hat.«
Ich kann das Ganze kaum glauben, bin aber umsichtig genug, es in der Runde auszuposaunen. Die Runde erstarrt. Ottilie nimmt noch eine Beruhigungspille. Es kostet Kraft, nicht in den Heulkanon einzustimmen. Spät kommen Rolf Römer und Annekatrin Bürger dazu, er legt Wert auf die Feststellung, neulich abends bei mir ganz schön angetrunken gewesen zu sein. Er hat noch eine Geschichte bei sich: In den Bezirksleitungen der Partei wird von dem Schriftsteller Ulrich Plenzdorf gesagt, er habe zugegeben, einer konterrevolutionären Gruppe anzugehören.
Das meiste von dem Gespräch entgeht mir. Ich bin noch immer mit dem Abschied von meinem Hans beschäftigt, gehe in Gedanken durch die Keller, wo meine Werkstatt ist, wo die Sauna ist, die sich mit der im Interhotel »Stadt Berlin« messen kann, nur daß mein Ofen besser ist, der ist über dunkle Kanäle aus dem Westen gekommen, ich gehe an den selbstgebauten Regalen vorbei, die überquellen von all dem Kram und Trödel, den ich in 20 Jahren zusammengerafft habe. Und wertvolle Sachen entdecke ich darunter: Edison-Phonographen, alte Telefone, Schiffskompasse, Bilder, Porzellan, Gläser, Humpen, Kannen, Kisten … Damit kann man nicht umziehen.
Und in der Garage stehen die alten Autos, einige völlig zerlegt, Arbeit für zehn Jahre. Da steht halb fertig der ORYX von 1910, in dem stecken mehr als 2000 Stunden, da steht der SIMSON SUPRA von 1930, in sämtliche Teile zerlegt, da stehen die BMW 327, 328 und 315, da steht ein halbes Dutzend anderer Schrotthaufen von AUDI bis FORD, und es stehen in einer Scheune an die 20 Kutschen, die außer ihrem Abtransport keinen Pfennig Geld gekostet haben, denn ich habe sie vor der Kiesgrube bewahrt, in einer Zeit, als noch keiner an so was gedacht hat. Damit kann man nicht umziehen.
25. April 1977, Montag
Es ist Montag, wir haben die Besuche satt. Die Gartentore verschlossen, zum ersten Mal, seit wir hier wohnen. Wir erwarten den Anruf. Vergeblich. Die Nachricht von gestern abend, wir würden am 4. Mai gehen, hat Ottilie einigermaßen umgehauen. Sie sieht schlecht aus. Unsere Haushälterin Frau Engel räumt in Ruhe den Dachboden auf. Das Telefon klingelt. Niemand dran. Drei-, viermal dasselbe. Dann ist der Komponist Günther Fischer dran, der uns zum Abend zu sich einlädt.
Plötzlich ist Müller-Stahl da, weiß der Teufel, wie er reingekommen ist. Aber ich freue mich, wir haben ein langes Gespräch, das nur den Sinn hat,
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