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Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Titel: Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federico Baccomo
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wäre, dann scheint sich die Situation doch mittlerweile stabilisiert zu haben.
    »Nun«, sage ich. »Da die Sitzung ausfällt, bin ich im Prinzip fertig. Ich habe einen Blick in die Akten geworfen und mir ein Bild von der anstehenden Arbeit gemacht. Eigentlich wollte ich noch bei Ihnen vorbeischauen, aber ich dachte, ich habe Sie schon genug aufgehalten. Da Sie allerdings schon einmal hier sind, möchte ich mich noch einmal dafür entschuldigen, dass ich einfach so hier hereingeplatzt bin.«
    »Aber Sie halten mich doch nicht auf, Herr Anwalt.« Der Ingenieur nähert sich mit kleinen Schritten, ohne seine Stimme zu senken. »Davon kann gar keine Rede sein.«
    »Und daher dachte ich, dass ich jetzt nach Mailand zurückfahre. Soeben wollte ich ein Taxi rufen lassen.«
    »Kommt gar nicht in Frage«, sagt der Ingenieur und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Ich verstehe zwar nicht, warum Sie es so eilig haben, nach Mailand zurückzukehren. Wenn es aber unbedingt sein muss, werde ich Sie zum Bahnhof bringen. Ich wollte sowieso gerade nach Treviso zurück. Keine Widerrede, Herr Anwalt. Kommen Sie, in Gottes Namen, dann können wir noch ein wenig plaudern.«
    Der Ingenieur geht zu dem Auto, das außerhalb des Zauns, der das Gebäude umgibt, auf uns wartet. Ich sehe, wie er über den Kies stolpert und mir bedeutet, ihm zu folgen. Eine tüchtige Person ist das, vertrauenswürdig und anständig.
    Er öffnet die Tür und besteht darauf, dass ich als Erster einsteige. Ich danke und setze mich hinter den Fahrer, einen hageren Riesen, der mir mit aller Kraft den Sitz gegen die Knie rammt. Ich unterdrücke einen Fluch, und der Typ entschuldigt sich. Fünf oder sechs Mal nennt er mich Herr Anwalt , erklärt mir, dass ein gewisser Abstand zum Lenkrad unabdingbar sei, damit man nicht mit den Knien Gas geben müsse, will wissen, ob ich mir wehgetan habe, sagt noch einmal Herr Anwalt . Ich beruhige ihn und beiße die Zähne zusammen, denn das Nervensystem sendet die letzten Schmerzsignale aus. Ich winkle die Knie an, spreize sie und versuche, mich zu arrangieren, während sich der Ingenieur, der unbeirrt weiterlächelt, neben mich setzt, mich mit gerunzelter Stirn anschaut, demonstrativ die Beine ausstreckt und mir ein paar Mal aufs Knie klopft.
    »In die Stadt, Renato. Zum Bahnhof.«
    Renato gibt Gas.
    »Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Ingenieur. Wieso um alles in der Welt haben Sie Ihren Firmensitz hier im Friaul? Familientradition? Marktrecherchen?«
    »Friaul?«
    »Nein, Entschuldigung. Nein.« Ich werde rot. »Venetien. Venetien, das weiß ich natürlich. Venetien. Ich schwöre.«
    »Da haben wir’s mal wieder.« Der Ingenieur beugt sich zum leeren Beifahrersitz vor. »Die Mailänder halten sich für den Nabel der Welt. Der Rest ist Provinz. Peripherie. Dritte Welt.« Dann schaut er wieder mich an. »Wissen Sie eigentlich, wo sich die Lokomotive Italiens befindet? Na? Die Lokomotive ist hier. Von hier wird das Land geschoben und gezogen, hier in Venetien. Sie sollten sich schlau machen, das sollten Sie wirklich tun. Sind Sie je in Venetien gewesen?«
    Ich verzichte auf weitere Vertraulichkeiten und versuche, das Gespräch in professionelle Bahnen zu lenken. Vielleicht könnte ich ein paar interessante Details erfahren und diese Dienstreise doch noch gewinnbringend nutzen, aber der Ingenieur hat keine Lust, über die Arbeit nachzudenken. Die Frage »Was sind die typischen Risiken in Ihrem Unternehmensbereich?« wischt er mit einem kritischen Blick beiseite: »Für wen halten Sie uns eigentlich? Wir sind bodenständige Menschen.« Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck. Mit sanfter Miene zeigt er auf Bäume.
    »Das da ist eine Stieleiche und das da eine Buche. Da hinten steht eine Esche, und hier hätten wir eine wunderschöne Zeder.«
    »Aha«, sage ich und hoffe, dass die Sache gut geht.
    »Ich könnte mir vorstellen, dass man so etwas in Mailand nicht oft zu Gesicht bekommt«, sagt er und streckt seinen Arm wieder in Richtung Wald aus.
    »Nein, das muss ich zugeben. Die Natur hat es nicht ganz leicht in Mailand.« Ich schaue auf meine Hand. »Zu Hause habe ich aber einen Bonsai.«
    »Aha, da hätten wir’s mal wieder. Genau darum geht es den Mailändern – wer das Kleinste hat. Erst das Handy, jetzt die Natur. Toll, die Mailänder mit ihren Miniaturen. Aber nicht alles, was klein ist … Na, wir verstehen uns schon.«
    So ein Blödsinn, was hat denn das alles mit Mailand zu tun? Am liebsten würde ich ihm von Japan

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