Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
wenigen Minuten war sie noch eine gewöhnliche Flughafenreinigungskraft, und jetzt verrenkt sie sich zu einer – wie mir scheint – ebenfalls unnatürlichen Pose. Mein Kopf wird schwer, ich lege eine Wange aufs Kissen und schlafe glücklich ein.
12
Ich schlurfe durchs Foyer und betrete einen kleinen Raum an der Rückseite, wo ich mich niederlasse und frühstücke. Der holzgetäfelte Minisaal mit seinen fünf Tischen öffnet sich auf einen Hofgarten, in dem sich eine fette Katze das Fell leckt. Ich schaue sie an. Sie schaut mich an. Einige Sekunden vergehen, dann bin ich es, der den Blick senkt.
Ungekämmt und unausgeschlafen nehme ich einen Schluck kalten Cappuccino und überfliege die Schriftstücke zum Dreifürzwei-Project. Neben mir lässt eine Frau ein paar Tabletten in ein Glas Wasser fallen. Mit ironischer Lebhaftigkeit sprudeln sie auf.
Ich versuche mir ein Bild von dem Projekt zu machen: Zeus Investments (im Folgenden: Zeus Investments oder der Mandant) ist ein Unternehmen, das auf dem Gebiet von real estate tätig ist, Bereich Entwicklung und Verwaltung von Einkaufszentren. Die zwanzig kunststoffbeschichteten Seiten der Präsentationsmappe sprechen von einem klar definierten Ziel: in den italienischen Markt eindringen. Es heißt dort nicht: den italienischen Markt erobern. Geschmacksfrage, denke ich. Das Projekt soll gekrönt werden durch ein Joint Venture mit einer englischen Geschäftsbank, der Meyon & Tolsen Bank (im Folgenden: Meyon & Tolsen oder die Bank), die im selben Bereich operiert und über Bogomin S.r.l. (im Folgenden: Bogomin oder das Zielobjekt), dem Eigentümer von drei Einkaufszentren im Nordosten, bereits auf dem italienischen Markt präsent ist. Zu Bogomin werde ich mich heute Morgen begeben. Wenn alles läuft, wie es laufen soll (»Und es wird alles laufen, wie es laufen soll«, hatte Giuseppe die Sache auf den Punkt gebracht), wird am Ende der Verhandlungen das Aktienpaket der Bogomin auf eine new-co übertragen, eine neu gegründete Gesellschaft, an deren Aktien Zeus Investments fünfzig Prozent halten wird, bei abschließender Bildung eines Joint Venture mit paritätischen Beteiligungsstrukturen. Routine.
Ich rufe mir die nötigen Fachbegriffe ins Gedächtnis – mall , gla , anchor , brand , effort rate – und ein paar statistische Daten, von denen ich mich im Verlaufe der Sitzung angenehm überrascht zeigen werde, um Interesse, Motivation und Identifikation mit den gemeinsamen Zielen zum Ausdruck zu bringen. Gelegentlich verweile ich bei den Bildern, die zwischendurch eingestreut sind: glückliche Familien, die über lange Flure mit totalverglasten Läden laufen, zufrieden lächelnde Gesichter von Angehörigen einer Klasse, für welche die Geschichte nichts zu wünschen übrig lässt, brillante Farben einer Werbung, die nicht Bedürfnisse, sondern Sehnsüchte weckt.
Seufzend schließe ich die Mappe und versuche, Glaubwürdigkeit auszustrahlen. Dann stehe ich auf, kehre in mein Zimmer zurück, hole den Trolleykoffer und gehe hinunter, um auszuchecken. Der Mann mit dem grau melierten Bart erkundigt sich nach meinem Verbrauch aus der Minibar und erstellt die Rechnung.
»Soll ich alles auflisten?«, fragt er augenzwinkernd.
»Aber natürlich«, sage ich verdutzt. »Wo kämen wir denn da hin.«
Der Mann reicht mir eine Rechnung, auf der neben den Spesen auch die Worte Pay-per-view Euro 12.00 erscheinen. Ich zahle und frage mich, wie ich dem Mandanten den Zusammenhang zwischen einer gewissen Filmgattung und dem zu leistenden juristischen Beistand erklären soll.
»Entschuldigung«, sage ich und halte ihm die Rechnung hin. »Könnte ich vielleicht doch, äh, eine andere bekommen?«
»Jetzt behalten Sie mal schön diese hier«, sagt der Mann und schließt meine Hand um das Blatt. »Für wen halten Sie uns eigentlich?«
Ich lasse mir ein Taxi rufen, nehme den Trolley und gehe.
Bogomin befindet sich ein paar Kilometer außerhalb von Treviso. Ich lehne mich auf der Rückbank zurück und sehe die Landschaft an meinen halb geschlossenen Augen vorbeiziehen. Die wohldosierte Mischung an atmosphärischen Gasen taucht den Himmel in ein gedecktes Azurblau, vor dem sich am Ende einer langen Allee der Betonklotz des Firmensitzes abhebt.
»Sind Sie geschäftlich hier?«, fragt mich der Taxifahrer, als er mir hilft, den Trolley aus dem Kofferraum zu holen.
»Ja, geschäftlich.«
»Unternehmer?«
»Anwalt.«
»Ah«, sagt er und spuckt aus. »Das ist wirklich ein schöner Beruf. Da
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