Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
Füßen.«
»Wie erbärmlich. Und jetzt gibt er den unschuldigen Profi.«
»Was für ein Schwachsinn.«
»Taricone gefällt mir übrigens auch nicht schlecht.«
»Sympathisch, aber wie kann man bloß Cristina ficken? Nicht präsentabel.«
»Ein Jammer.«
19
Michele Zarrillo singt ein Lied, das folgendermaßen geht: Fünf Tage, seit ich dich verlor, welch eine Kälte in meinem Leben, du brauchst mich nicht mehr, zu viele Leute fragen nach dir, streuen Salz in die Wunde, die nie vernarbt, und ich kränke einen Freund, der jeden Abend kommt und mir den Schwur abnahm, ich möge auf ihn hören, aber ich verrate ihn und mich, denn ist man verletzt, weiß man nie, ja, nie … Bis hierher kenne ich das Lied. Sobald ich das Vibrato von ja, nie höre, rufe ich: »Aufhören, um Himmels willen, aufhören.« Nicola verstummt, verzieht den Mund und spielt die beleidigte Leberwurst. Nach ein paar Minuten fängt er wieder an: Fünf Tage, seit ich dich verlor, welch eine Kälte in meinem Leben…
Seit einiger Zeit schon hat Nicola nicht mehr viel zu tun.
Bisweilen habe ich den Eindruck, dass man versucht, ihn zu isolieren, um ihn hinauszuekeln. Manch einer würde vielleicht von Mobbing reden, aber vermutlich würde kein Richter angesichts eines Typen, der mit einer solchen Begeisterung Michele Zarrillo singt, den Tatbestand des Mobbing konstatieren wollen. Nicola selbst scheint sich keine Sorgen zu machen. Abends gegen Viertel nach acht steht er auf, zieht seine Jacke an und bleibt mit nach links geneigtem Kopf stehen.
»Wir leben in Zeiten der Krise«, sagt er. »Da kommen wenig Aufträge rein. Die Amerikaner sprechen vom Bärenmarkt. Okay, ich bin dann mal weg.« Und hebt zum Abschied die Hand.
Wenn er nicht singt, verbringt er die Tage mit Zeitvertreiben jeglicher Art: Er füllt ein Raster von 10 x 10 Kästchen mit Nummern von eins bis hundert, die in der Horizontale einen Abstand von zwei Kästchen und in der Vertikale einen Abstand von einem Kästchen einhalten müssen. Er reinigt die Tastatur, indem er ein Post-it zusammenrollt und zwischen den Tasten durchzieht. Er lädt Klingeltöne herunter, gibt mir von jedem, der im Angebot ist, eine Kostprobe und fragt mich nach meiner Meinung (entscheidet sich dann aber immer für eine Technoversion). Er steckt die Hand in eine Tüte mit energetischen Steinen, die ihm eine Tante geschenkt hat, weil sie angeblich Stress abbauen helfen. Er existiert.
Ich trage es mit Fassung und versuche mich nicht von den kleinen Geräuschen ablenken zu lassen: zerreißendes Papier, geflüsterte Sätze, kleine Manöver, um mich einzubeziehen. Meine Aufmerksamkeit gilt der Vorlage für einen Joint-Venture-Vertrag, die ich auf meinem Bildschirm geöffnet habe: Lücken, die ausgefüllt werden müssen, runde Klammern, eckige Klammern, kursive Passagen, Klauseln, die umformuliert werden müssen, gelb markierte Stellen, rot markierte Stellen, Fußnoten, to be discussed , to be confirmed . Donatos Forderung hatte gelautet: Wir brauchen einen ersten Entwurf, der noch ein Entwurf ist, aber bereits hinreichend endgültig . Lange starre ich auf das Dokument und vergrößere dann die Schrift von Times New Roman 11 auf Times New Roman 12.
»Andrea.«
»Nicola, bitte. Fang gar nicht erst an. Ich habe dir doch gesagt, dass ich einen vierzigseitigen Vertrag vor mir habe und nur drei Tage, um ihn umzuschreiben, zu vervollständigen, anzupassen, zu prüfen und dann an achtzehn Empfänger in aller Welt zu mailen. Das Ganze in Kopie an Giuseppe. Wenn es etwas Wichtiges ist, höre ich dir gerne zu. Sollte das nicht der Fall sein, lass mich bitte arbeiten. Ist es also wichtig?«
»Es ist wichtig.«
»Schieß los«, seufze ich.
»Weißt du, wie man sich beim Forum für das Fußballturnier der Anwälte registriert?«
Giuseppe behauptet, die Zeit sei knapp und man müsse gut organisiert sein. Gehen wir also folgendermaßen vor. Höchstens zwei, drei Tage brauche ich, um den Vertrag vorzubereiten und in Umlauf zu bringen. Höchstens zwei, drei Tage haben Meyon & Tolsen und ihre Anwälte Zeit, ihn zu studieren und ihre überarbeitete Version in Umlauf zu bringen. Dann setzt man ein Treffen aller Beteiligten an, und nach höchstens zwei, drei Tagen ist der Vertrag so gut wie perfekt. Dann kommen die Details – fuhr Giuseppe fort –, Anlagen, praktische Fragen, Lappalien. Das wird dann – weiterhin laut Giuseppe – nur noch Feinarbeit sein, der Lichtreflex auf den Weintrauben des Caravaggio, Pirlos Beinarbeit
Weitere Kostenlose Bücher