Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
einen kurzen Blick drauf geworfen.«
»Das funktioniert nie im Leben.«
»Wie immer bei Giorgio.«
»Warum ist denn deiner Meinung nach ein Smiley keine Botschaft?«
»Eine deutliche.«
»Das wollte ich doch meinen.«
20
Halb fünf am Nachmittag.
Die Sonnenstrahlen dringen wie Klingen durch das Glas, landen auf meinem Gesicht und lassen die kränkliche Blässe meines Teints, der schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr mit der frischen Luft pflegt, noch deutlicher hervortreten. Ich schließe die Rollläden ein Stück, und das Zimmer wird in den Halbschatten eines Provinzkrankenhauses gehüllt. Nachdem ich wieder Platz genommen habe, breite ich auf meinem Schreibtisch eine Serviette aus und öffne die Plastikschachtel mit der kalten Pasta, die mir ein Kollege mit Haaren, die auf eine Weise gekämmt waren, dass sie schon wieder ungekämmt wirkten, vor ein paar Stunden aus der Bar unten mitgebracht hat, zusammen mit dem praktischen Plastikbesteck und der praktischen Papierserviette. Mit der linken Hand halte ich das Essen fest, mit der rechten umklammere ich die Gabel, lasse aber den kleinen Finger frei, damit ich an meiner E-Mail an Donato weiterschreiben kann. Er hat um den neuesten Stand gebeten, sobald ich ein bisschen Luft habe, aber bitte sofort . Ich spieße den Fusillo auf, stecke ihn in den Mund, schlucke und schreibe You will find that … Ich spieße den Minimozzarella auf, stecke ihn in den Mund, schlucke und schreibe Finally, please bear in mind … Ich bin eine perfekte Arbeitsmaschine, präzise, unaufhaltsam.
»Campi«, säuselt eine Stimme.
Ich fahre unbeirrt fort.
»Campi.«
Das Säuseln ist näher gerückt, beharrlich.
»Campi.«
Ich tauche aus meiner inneren Versenkung auf und drehe mich langsam um. Es ist Barbara, die da spricht, eine Kollegin aus dem zweiten Stock, dreißig Jahre, aber vom Aussehen her deutlich drüber, luftiges Röckchen, angespanntes Lächeln. Meinen Blick erwidert sie misstrauisch. Ich bin eiskalt, als ich mich wieder meinem Bildschirm zuwende.
»Jetzt nicht, Barbara. Ich bin eine Kriegsmaschine, ein Panzer. Nichts kann mich aufhalten.« Ich spieße eine Cherrytomate auf.
»Campi, Kriegsmaschine, dir tropft Öl aufs Hemd.«
Mist .
»Im Übrigen …«, fährt sie fort, während ich die Cherrytomate wieder hinlege und den Fleck mit dem Entwurf eines Pfandvertrags aufzusaugen versuche, »… ist es nur eine Kleinigkeit. Nächste Woche Umtrunk.«
Jeden Monat dasselbe.
Mit der Verlässlichkeit eines Herpes kommt irgendjemand in mein Büro, schaut sich um und sagt: »Campi, Umtrunk.« Man fragt nicht, man informiert sich nicht, man hinterlässt die Nachricht und geht. Umtrunk . Und während der Campari-Botschafter hinter dem Türpfosten verschwindet, hallen im Zimmer verschwommene Echos wider: Diesmal kriegst du deinen Hintern aber hoch, nicht wie letzte Woche oder In diesem neuen Lokal am Corso Como, wo sie auch Sushi haben oder Bring eine Freundin mit, falls du eine hast .
»Ich verstehe das nicht«, sage ich zu Nicola, um mich gegen den Ruf zu verteidigen, den ich mir mit meinen Absagen einhandle. »Immer diese Leier von wegen Ungeselligkeit. Campi, du wirst noch ein totaler Eigenbrötler … Was für ein Eigenbrötler du bist … Da seht ihn euch an, den alten Eigenbrötler .«
»Das verstehst du nicht?«, fragt Nicola sarkastisch. »Da muss man doch kein Genie sein, um das zu verstehen. In den Mittagspausen isst du eine Olivenfocaccia, läufst alleine in der Gegend herum und schaust auf deine Zehenspitzen.«
»Und das soll ungesellig sein?«
»Was würdest du denn sagen?«
»Dass ich jemand bin, dem es theoretisch gefällt, mit Menschen zusammen zu sein. Sogar mit Kollegen, du wirst es nicht glauben. Man könnte sicher noch etwas anderes miteinander teilen als nur die E-Mail-Domain. Andererseits muss ich mir diese Gesichter den ganzen Tag lang anschauen und ständig diese Stimmen hören. Wie kann ich mir da wünschen, auch noch die Freizeit mit ihnen zu verbringen?«
»Ist doch schön«, versucht Nicola mich zu überzeugen. »Das bedeutet eben, dass wir sehr gut befreundet sind.«
»Oder sehr allein.«
»Sehr gut befreundet«, beharrt er.
Barbara steht immer noch an der Tür. Sie hat die Klinke in der Hand und zupft am Kragen ihrer Bluse.
»Also? Bist du dabei?«
Ich denke daran, wie ich als Kind minutenlang Schaufensterpuppen betrachtet habe. Es waren glanzvolle Zeiten in Mailand. Die Schaufenster der Kaufhäuser zeigten Szenen, die man dem
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