Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
mir doch rausgerutscht.«
Der Taxifahrer, der mich nach Hause bringt, ist schweigsam. Er hört Jazz und lässt ab und zu das Fenster herunter, um rauszuspucken. Ich lehne den Kopf zurück und schaue auf die Straße. Die Wände, die vorbeigleiten, sehen alle gleich aus. Vor den Banken im Zentrum rollen sich zwischen Zeitungen und Schlafsäcken die Obdachlosen zusammen. In meinem Kopf überschlagen sich Daten, Klauseln, Coca-Cola, Geräusche, Tiziano.
Tiziano .
Seine Freundin hat ihn verlassen.
Eleonora .
Eleonora hat mich auch verlassen.
Ich nehme das Handy aus der Tasche und tippe eine SMS.
Tiziano. Ich weiß.
Ich weiß.
Auf einen Kaffee
»Ich versuche immer, mich mit Hilfe meines Verstandes wach zu halten.«
»Das ist wichtig.«
»Fundamental. Lesen, beobachten, vertiefen, auch anderes, nicht nur Gesetze. Immer Gesetze, Gesetze rauf und runter.«
»Gesetze fressen dir das Hirn auf.«
»Jetzt habe ich mir Leopardi vorgeknöpft, den kosmischen Pessimismus, das Mädchen vom Land.«
»Ah, unsterblich. Silvia.«
»Quatsch. Giacomo.«
»Ich meine das Gedicht. An Silvia .«
»Ich habe erst angefangen mit dem Buch. Vielleicht kommt die später. Wie lautet denn der Titel?«
» An Silvia .«
»Ist gebongt.«
22
»Ich habe keine Zeit«, sagt meine Stimme, und dieses Mal klingt sie wirklich sauer.
»Ich habe keine Zeit, klar. Der typische Satz von Leuten, die ihre Sachen nicht auf die Reihe bekommen.«
»Cardellini. Darf man erfahren, was du willst?«
Cardellini steht im Türrahmen und schlägt die Hacken zusammen.
»Ich habe mit Giuseppe gesprochen«, sagt er schließlich.
»Freut mich, Cardellini. Wenigstens einer, der dir gelegentlich zuhört. Ein wahrer Freund. Und jetzt lass mich arbeiten.«
»Er hat gesagt, dass der Vertrag noch nicht raus ist.«
»Welcher Vertrag?«, frage ich abwesend, weil ich schon wieder auf meinen Bildschirm starre.
»Dreifürzwei-Project.«
Ich kann meine Überraschung kaum verbergen.
»Wenn ich es recht verstanden habe«, fährt Cardellini fort, »gibt es ein paar Schwierigkeiten. Unvorhergesehene Hindernisse.«
»Prima. Das Ganze noch mal auf Englisch.«
»Ja, ja, mach dich nur lustig. Tatsächlich befinden wir uns in einer sehr schwierigen Phase – was den Markt im Allgemeinen betrifft, aber besonders auch, was unsere Kanzlei betrifft. Wir können es uns nicht leisten, eine Sache zu vermasseln und Mandanten zu verlieren. Giuseppe schien an meinen Bedenken sehr interessiert.«
Ich drehe mich von Cardellini weg, betrachte die Fensterrahmen und atme tief ein.
»Was …«, ich mache eine Pause, »für Bedenken?«
»Giuseppe sagt, du arbeitest hart, das schon«, fährt Cardellini fort. »Allerdings, wie soll ich sagen …«
»Sag’s einfach«, fordere ich und drehe mich zu ihm um.
»Äh, wie soll ich sagen, er wirkte besorgt. Wir befinden uns in dieser Sache noch ganz am Anfang, und schon ist eine Verzögerung zu verzeichnen. Ich möchte nicht …«
»Okay«, rufe ich, stehe auf und kann eine gewisse Erregung nicht verbergen. »Nummer eins: Wir befinden uns in gar nichts. Du hast mit dieser Geschichte nichts zu tun, und mir scheint, als hätten wir bereits darüber geredet. Ich kümmere mich um das Dreifürzwei-Project, du um den Talgüberschuss, der dir zu schaffen macht. Nummer zwei: Die Mail habe ich soeben fertig geschrieben. Exakt in diesem Moment klicke ich auf senden , schau, und der Vertrag ist fort, ohne jede Verzögerung.« Ich setze mich wieder und hebe mit einem kindischen Lächeln die Hände. »Finde dich damit ab.«
»Wann ist das erste Treffen mit der Gegenseite?«, fragt Cardellini unbeeindruckt. »Giuseppe sagt, es soll schon bald sein.«
»Cardellini«, schreie ich. »Du wirst an dem Treffen nicht teilnehmen.«
»Schon bald«, wiederholt er nachdenklich und verlässt den Raum.
»Du nimmst nicht teil«, stöhne ich und zwinge mich, die Finger wieder auf die Tastatur zu legen.
Cardellini ist verschwunden.
Ich drücke auf eine Taste.
Das Fenster, das sich auf dem Bildschirm öffnet, wirkt nicht vertrauenerweckend.
Bei der Rechtschreibkontrolle ist ein Problem aufgetreten. Trotzdem senden?
Mein rechter Fuß zappelt plötzlich. Ich gehe die Liste der Empfänger noch einmal durch, lese die Mail noch einmal, schaue mir noch einmal die Attachments an.
Senden .
Nun geht es los: interne Anmerkungen, Erläuterungen, mark-up , Revisionen, Versendung des Entwurfs an die Gegenseite. Dann ein neues mark-up , Analysen, Klärungen, Memoranda,
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