Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
klappt mit dem Kinn ihr Handy zu, unter ihrem Arm klemmt eine rote Mappe, und mit der freien Hand zieht sie einen offenbar wahnsinnig schweren Trolley hinter sich her. Ihren gelben Trenchcoat trägt sie offen, sodass darunter ein graues Kostüm zu erkennen ist, das sie wiederum offen trägt, wodurch eine wiederum gelbe Bluse sichtbar wird. Offen ist auch die Frau selbst, und zwar in einem Maße, dass sie fast schon neben mir steht, bevor sie mich dazu bewegen kann, meinen Blick von ihrem Dekolleté loszureißen und ihr lieber ins Gesicht zu schauen: Braune, sehr kurze Haare rahmen ein Gesicht ein, das sicher lächeln kann, aber keinerlei Absichten hegt, es auch zu tun, dazu große, braune Augen, rosa Lippen, weiche, aber klare Gesichtszüge wie bei Renoir. Ich schaue sie an, und es ist, als wären Donato, Boraletti, sein Terminkalender, die über dem Vertrag verbrachten Nächte, Cardellinis Provokationen und das ganze Dreifürzwei-Project nur der langweilige Werbeblock vor diesem einzigartigen Film gewesen. Die Frau stößt mit dem Trolley gegen einen Stuhl, dreht sich um, lässt die Mappe fallen, ich springe auf, werfe mich zu Boden, als wäre neben mir eine Granate explodiert, schnappe mir die Mappe, reiche sie ihr und stelle mich vor.
» Hi, my name is Andrea. Endru. Nice to meet you. Welcome in Milan. How are you? Good flight? Are you tired? «
Emily schaut mich irritiert an.
Dann wendet sie sich an Boraletti.
»Will der mich verarschen?«
Boraletti macht eine wegwerfende Handbewegung in meine Richtung und streicht sich über den Bart.
»Emily lebt in London«, sagt er und gähnt. »Sie kommt aber aus Mantua und heißt Fioretto. Emilia Fioretto.«
»Aha«, flüstere ich und erinnere mich, dass ich ihren Namen bei der Versendung des Vertrags auf den Verteiler gesetzt hatte. »Emilia Fioretto, genannt Emily «, füge ich hinzu und ziehe die Augenbrauen hoch.
»Genannt Doktor Fioretto «, sagt sie und zieht die ihren zusammen.
»Ja, was denn … Kommt der Kaffee nun, oder nicht?«, ruft Boraletti ins Leere.
Der Kaffee kommt, und zusammen mit dem Kaffee kommen Hörnchen und Mürbeteiggebäck, Fruchtsäfte und Mineralwasser. Boraletti betrachtet das Buffet gierig und wartet nur auf das Signal. Ich nehme einen s-förmigen, mit Schokolade überzogenen Keks und hebe das Kinn in seine Richtung. Boraletti begreift und stürzt sich auf den Wagen. Ich lege den Keks wieder hin und gehe an meinen Platz.
Emily hat inzwischen den Trench ausgezogen und sich wieder ans Handy gehängt. Ihre Finger trommeln auf dem Tisch herum, während sie sich im Fensterglas betrachtet. Sie zieht ihre Bluse zurecht. Hinter ihr im Spiegelbild zeichnet sich die Silhouette eines Mannes in einem grauen Anzug ab. Die Anzugtaschen sind ausgebeult, der Schritt hängt zu tief, und – Achtung, aufgepasst! – knapp unter der linken Hosentasche prangt ein Loch. Eine schlecht gebundene Krawatte hängt über einem blässlich blauen Hemd, an dem der oberste Knopf offen steht. Verdammte Hacke , denke ich, wie sehe ich bloß aus? Ich versuche zu retten, was zu retten ist, knöpfe das Hemd zu und verschwinde sofort hinter dem Tisch, damit niemand das Loch bemerkt.
Boraletti hat sich wieder hingesetzt. Nachdem er das Jackett von den Krümeln seiner Mahlzeit befreit hat, nimmt er die Papiere, die vor ihm liegen. Er verteilt sie auf dem Tisch und schiebt sie wieder zusammen. Nachdem Emily sich gesetzt hat, räuspert er sich.
»Können wir anfangen?«
Ich nicke und suche Emilys zustimmenden Blick, aber die schaut nicht zurück, sondern holt ihren Laptop aus der Tasche. Also wende ich mich wieder ihrem Dekolleté zu, das sich meinen Augen mit versöhnlichem Gleichmut darbietet.
»Also … Also … Also …«, beginnt Boraletti. »Eine kleine Vorbemerkung. Ich werde Ihnen vor allem unseren Standpunkt darlegen, damit klar wird, wie wir weiter vorzugehen haben.« Boraletti legt die Fingerspitzen aneinander. »Drücken wir es einmal so aus. Wir haben den Vertrag aufmerksam gelesen und sind der Meinung, dass es durchaus verschiedene Punkte gibt, an denen ein Eingreifen erforderlich zu sein scheint. Es finden sich dort Ungenauigkeiten, die ich in Bezug auf die bereits erzielten, wenngleich natürlich nicht bindenden Übereinkommen als pure Missverständnisse erachte, Missverständnisse, welche möglicherweise der Tatsache geschuldet …«
»Ach, machen wir es kurz«, unterbricht ihn Emily. »Sie haben unser mark-up ja gesehen. Es muss alles überarbeitet
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