Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
vielleicht sogar Cardellini. Es geht los, aber daran denke ich jetzt nicht. Ich schaue auf die Uhr. 13.25. Ich nehme das Päckchen, das auf meinem Schreibtisch liegt, und verlasse das Zimmer. Das Jackett bleibt über dem Stuhl hängen. Handy und Blackberry liegen in der Schublade, ausgestellt.
»Bis später«, sage ich zu Nicola und hebe die Hand.
»Mhm«, brummelt der und hackt weiter auf der Tastatur herum, ohne den Kopf zu heben.
Ich nehme die Hintertreppe, trete auf die Straße und werde sofort von der drückenden Mailänder Frühlingssonne überwältigt. Menschenmassen verstopfen die Straßen im Zentrum: männliche Profis in Nadelstreifenanzügen, weibliche Profis in Kostümchen, Mädchen, die in die Fernsehkameras von MTV schreien, Japaner, die hinter Regenschirmen herlaufen, Selbstdarsteller mit künstlerischen Fähigkeiten oder scheußlichen Verstümmelungen hinter Schachteln mit ein paar Münzen drin, schreiende Lotterieverkäufer. Ich gehe schneller, weiche Passanten aus und kämpfe mich zu weniger belebten Straßen durch. Allmählich gewinne ich an Land. Ich reduziere das Schritttempo und zwinge mich zu einer Langsamkeit, die mir gänzlich fremd ist. Als ich um die letzte Ecke biege, sehe ich den lang gestreckten Zaun, der den Park an der Via Palestro umgibt. Ich gehe bis zum Südwesteingang daran entlang und trete durch das Tor. Meine Schuhe werden total einstauben , denke ich. Na und? Ich gehe über den Kies und finde eine freie Bank im Schatten. Im Park herrscht ein ganz anderes Durcheinander, als ich es soeben hinter mir gelassen habe: wuselnde Kinder, Mädchen, die ihren Kopf auf den Bauch von Jungen gelegt haben, Schüler mit Büchern und Kopfhörern, Alte mit Stock. Ich setze mich, verharre reglos, schaue mich um, kremple die Ärmel hoch und atme tief durch. Dann nehme ich das Päckchen. Langsam öffne ich es und hole ein Salamibrot heraus, das ich mir morgens, bevor ich aus dem Haus gegangen bin, gemacht habe. Gierig beiße ich hinein, und schon nach einer Minute sehe ich nur noch Krümel und leere Hände. Ich trinke einen Schluck Wasser, warte einen Moment und hole ein weiteres Brot heraus, das gleiche noch einmal. Dieses Mal esse ich langsam und beobachte dabei eine Taube, einen Jungen auf seinem Mountainbike und eine Ente, die im Wasser ihre Kreise zieht. Ich schlucke den letzten Bissen hinunter, strecke mich und bleibe sitzen, um im Himmel die Kondensstreifen zu bewundern. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der ich davon überzeugt war, dass ich diesen ganzen unruhigen Wirbel, dieses Gehetze, abschütteln könnte, eine Zeit, die ich längst verloren und später zu suchen verabsäumt habe, eine Zeit, der ich mich jetzt in diesem Moment wieder nahe fühle. Das letzte Päckchen muss dran glauben. Ich hole ein großes Stück Kirschkuchen heraus, mache ihm mit drei Bissen den Garaus, komme kaum mit dem Schlucken hinterher, bin glücklich. Dann trinke ich noch etwas Wasser, strecke die Beine aus und gähne. Aus der Ferne nähern sich Schreie. Ein Ball schießt herbei und bleibt ein paar Meter vor mir liegen. Gelassen stehe ich auf und befördere ihn mit einem perfekten Schuss zu den Kindern zurück. Danke, Signore. Ich lächle. Schaue auf die Uhr. 14.32. Zeit zurückzugehen. Mit aller Kraft sauge ich Luft in die Lungen und atme sie wieder aus. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Andrea , flüstere ich. Den Blick immer noch in den Himmel gerichtet, pfeife ich leise vor mich hin. Moonlight Serenade .
Auf einen Kaffee
»Und wie ist diese Frau?«
»Klasse. Entspannt. Keinerlei Paranoia.«
»Das ist wichtig. Keine verrückten Ideen.«
»Genauso ist sie. Pflegeleicht. Eine, die lacht, wenn du – was weiß ich – blowjob sagst.«
»Tatsächlich?«
»Natürlich ist es nicht so, dass du hingehst und blowjob sagst, und schon lacht sie. Es muss in den Kontext passen.«
»Klar.«
»Aber sie ist nicht förmlich. Rümpft nicht die Nase. Einfach. Pflegeleicht.«
»…«
»…«
» Blowjob .«
»Und sie lacht.«
»Im richtigen Kontext.«
»Versteht sich.«
23
»Franco Boraletti.«
»Andrea Campi.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen«, antwortet Boraletti im Tonfall desjenigen, der seinen Phrasen nicht viel Bedeutung beimisst.
»Wollen wir uns nicht duzen, Franco?«
Franco Boraletti antwortet nicht. Er schaut auf meine Schuhe und verzieht den Mund.
»Und Giuseppe Sobreroni?«, fragt er. »Nimmt der nicht an der Sitzung teil?«
»Giuseppe ist heute nicht in Mailand. Er lässt sich
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