Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
die Luft.
»Jetzt geht’s los«, sagte er.
»Was?«, fragte ich verwirrt.
»Wovon ich dir erzählt habe.«
»Was denn?«, wiederholte ich. »Was denn?« Meine Stimme klang schriller als sonst.
»Heiliger Strohsack, Endru. Tu nicht immer so, als würdest du aus allen Wolken fallen. Den ganzen Tag haben wir von nichts anderem geredet. Die Geschichte von Michele. Ich bin leider gerade auf dem Weg zum Flughafen, Carla wartet mit den Kindern auf mich. Wenn ich nicht gelegentlich mit ihnen wegfahre, kannst du dir gar nicht vorstellen, was für ein Geschrei das gibt. Du Glücklicher, dass du keine Familie hast, du Glück-li-cher . Anyway . Michele weiß Bescheid, er erklärt dir alles. Jetzt ist er noch in einer Sitzung. Warte aber nicht auf ihn. Geh nach Hause und ruh dich aus. Er wird dir morgen früh alles erklären. Ich weiß ja, dass ich mich auf dich verlassen kann. Kann ich mich auf dich verlassen, Endru?«
Ich schwieg. Wirre Bilder gingen mir im Kopf herum. Zerbrochene Gläser, vom Wind aufgestoßene Fenster, eine Plastiktüte, die an einem Ast hängt, schwarz-weiß.
»So gefällst du mir. Allzeit bereit. Was zum Teufel würdest du im Dezember denn auch am Meer wollen?«
Als an jenem Heiligabend mein Handy klingelte, stand ich vor dem Schaufenster einer Parfümerie und quälte mich mit der Entscheidung zwischen verschiedenen Geschenkpackungen – Badeschaum und Körperlotion in exotischen Duftrichtungen. Zwischen meinen Beinen stand ein Paket mit einem Plasmabildschirm. Ich hatte es geschafft, die Kanzlei zu verlassen, hatte mich in die Hölle gestürzt und war auf der Suche nach einem Geschenk für Eleonora durch die Straßen geirrt, als ich plötzlich in einem Schaufenster einen gigantischen Fernseher hatte stehen sehen. Die Live-Berichte, die dort übertragen wurden – eine Vorabendnachrichtensendung – wurden von Kunstschnee und Lametta eingerahmt. Die Bilder vom Erdbeben mitsamt den Zerstörungen in verschiedenen südamerikanischen Dörfern unterstrichen deutlich die Bildqualität, die exzellente Schärfe und die außergewöhnliche, vollkommen flimmerfreie Auflösung des Bildschirms.
»Leo«, meldete ich mich am Handy. »Sag mal schnell: Magst du Badeschaum in der Duftrichtung Puderzucker ?«
»Ich habe schon ein paar Mal angerufen. Es war immer besetzt.«
»Oder Zitronenbaiser . Das ist doch sicher gut, oder?«
»Mit wem hast du telefoniert?«
Im Geiste sah ich Pancolaris großes, rundes Gesicht vor mir. Er war project manager einer renommierten Firma, die auf dem Gebiet von Prothesen tätig war und im Rahmen einer Fusionierung von uns beraten wurde.
»Mit meiner Ex«, antwortete ich.
»Mit deiner Ex. Klar.«
»Na ja, du weißt doch, wie das ist. Pünktlich zum Fest fühlt man sich plötzlich allein.«
Pause.
»Die Arbeit, nicht wahr?«
»Was für eine Arbeit?«
»Die Arbeit, nicht wahr?«
Eine weitere Pause.
»Ja.«
»Sag mir wenigstens, ob dir eigentlich klar ist, an was für einem Punkt wir uns mittlerweile befinden.« Eleonoras Stimme klang plötzlich müde.
»An was für einem Punkt?«
»An dem Punkt, dass du ein Telefonat mit deiner Ex erfindest – von der ich übrigens nur zu gerne wüsste, ob sie überhaupt existiert, diese Ex, wo sie dich doch sonst nie anruft –, um deine Arbeit vor mir zu verstecken. In einer Welt, wie ich sie mir vorstelle, sollten die Dinge anders laufen.«
»Soll ich mit meiner Ex telefonieren und dir erzählen, es sei die Arbeit gewesen?«
»Tu nicht so dumm.«
»Aber, Leo …«
»Aber gar nichts.«
Aber gar nichts , war der Ausdruck, mit dem Eleonora damals jedes unserer Gespräche beschloss. Sie fühlte sich von meiner Arbeit vollkommen überrollt und äffte mich ständig nach – Es ist dringend, Mein Blackberry, Tut mir leid, ich telefoniere gerade, Heute Abend wird es spät, vielleicht kannst du mit Serena ins Theater gehen, Sonntag spring ich mal kurz ins Büro, aber nur nachmittags, Giuseppe, Giuseppe, Giuseppe . Ich wusste nie, wie ich darauf reagieren sollte. Immer senkte ich ein wenig beleidigt den Kopf und dachte: Äff mich nur nach, wenn es dir Spaß macht, aber was hast du schon für eine Ahnung .
Reglos blieb ich vor der Parfümerie stehen, und während ich mein Spiegelbild mit dem Fernseher zwischen den Beinen betrachtete, fror ich plötzlich. Neben mir stand ein Singhalese, in der einen Hand einen Fotoapparat, in der anderen einen Strauß Rosen, und bewegte sich zum Rhythmus einer elektronischen Melodie. Aus dem Handy drang
Weitere Kostenlose Bücher