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Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)

Titel: Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federico Baccomo
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das Terrain.
    »He, Cardellini«, sagte ich und nahm ihm seine Blätter aus der Hand. »Wie es scheint, hat heute Abend jeder schon etwas vor. Bist du auch verabredet?«
    Cardellini musterte mich wie eine Gestalt, die ihm soeben in die Sonne getreten ist. Dann lächelte er mit seinen gelblichen Zähnen, zog ein merkwürdiges Gesicht und nickte. Sein Finger wackelte bedeutungsschwer hin und her.
    »Ich habe so meine Pläne heute Abend«, erklärte er und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach seinen Papieren zu greifen.
    »Tja«, sagte ich und ließ die Blätter auf den Tisch fallen. »Dann sollten wir uns aber hübsch die Haare waschen, bevor wir das Hotel verlassen, was?«
    Überall befinden sich wuselnde Baustellen, werden Mauern hochgezogen, fahren Autotransporter hin und her. Eine Gruppe Bauarbeiter läuft über das Gerüst, welches das Skelett eines in schwindelerregende Höhe aufragenden Gebäudes umgibt. Der Abend ist warm. Tausend Möglichkeiten liegen in der Luft. Ich atme tief ein und bücke mich, löse die Schnürsenkel, binde sie wieder zu. Vielleicht sollte ich Geld abheben. Plötzlich habe ich eine Idee.
    Ich bleibe stehen, denke nach, mache kehrt und gehe zum Hotel zurück.
    Es ist fast Mitternacht.
    Wenn ich mich beeile, hat vielleicht der Blumenhändler im Foyer noch auf.
    Emily .
    Was verlangt es, sich die Situation klarzumachen ?
    Mit einem Strauß weißer Blumen, deren Namen ich nicht kenne, betrete ich den Aufzug. Ich drücke auf den Knopf. Die Zahlen auf der Anzeige steigen im selben Maße, wie mein Herz schneller schlägt. Die Tür öffnet sich, und mir wird klar, dass ich zwar das Stockwerk weiß, aber nicht die Zimmernummer. Das ist auch nicht nötig. Das nervöse Kichern, das ich jetzt zu meiner Rechten höre, kann nur von einer einzigen Person stammen. Die männliche Stimme, die spricht, erkenne ich nicht. Ich halte eine Hand vor die Lichtschranke und beuge mich vorsichtig vor. Ein Blick, dann ziehe ich den Kopf wieder zurück und drücke auf 0, einmal, zweimal, fünfmal, presse mich an die Wand, atme ein, sause hinab. Das Klicken der Türverriegelung hallt in meinen Ohren nach. Die Standbilder der Sequenz, deren Zeuge ich soeben geworden war, wiederholen sich in meinem Kopf: Emily zieht die Magnetkarte aus dem Schlitz und lässt das Schloss aufspringen. Sie öffnet die Tür und betritt ihr Zimmer. Cardellini folgt ihr.

42
    Erst der rechte, dann der linke.
    Dann wieder der rechte.
    Und jetzt wieder der linke.
    Ich verwende all meine Konzentration darauf, Schritte zu machen, einen nach dem anderen, ziellos, zügig. Wie auf den gemalten Hintergründen, die in Fünfzigerjahrefilmen an flüchtenden Automobilen vorbeigezogen werden, folgen gigantische Glas-Stahl-Komplexe auf Wellness-Oasen, Palmen, rosafarbene Limousinen, Mosaike, Springbrunnen, Geschäfte, Menschen, all diese besondere Normalität.
    Erst der rechte.
    Dann der linke.
    Eine plötzliche Explosion lässt mich aufschauen. Der Himmel füllt sich mit violetten und grünen Lichtern, die sich in den Glasfassaden der Gebäude spiegeln. Ein Zischen, und schon zieht sich ein gelber Schweif über den Horizont, um sich dann knisternd in einen Wasserfall roter Sternchen zu verwandeln, die langsam zu Boden sinken und eine Schleppe an flirrenden Leuchtbändern hinter sich herziehen. Innerhalb weniger Sekunden lodert die Nacht in einem Feuerwerk auf. Ich sehe Blitze aufflammen und erlöschen. Hinter mir höre ich das Gelächter eines Paars. Aus den offenen Fenstern eines Autos dringen die Bässe eines alten Songs der Pet Shop Boys. Ein Hund bellt.
    Erst der rechte.
    Dann der linke.
    Wie ist es nur so weit gekommen?
    Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der ich nur ein Praktikant gewesen war und lauter blaue Krawatten besessen hatte.
    Das Gerichtspraktikum hatte ich in einer kleinen Kanzlei absolviert, die sich nicht groß von den meisten anderen italienischen Kanzleien unterschied. Für ein paar Euro im Monat verbrachte ich die Tage im Gericht und widmete mich den unterschiedlichsten Tätigkeiten. Ich stand stundenlang Schlange, um einen Fall registrieren zu lassen, ließ mich von einer vulgären Dicken aus der Gerichtskanzlei von Sektion XIII beleidigen, leckte Dutzende von Steuermarken an, klebte sie auf, drückte Stempel drauf, machte mich auf die Suche nach verloren gegangenen Akten und klammerte mich in meinem engen Valentino-Anzug, den ich mir fürs Examen zugelegt hatte, an wackelige Leitern, grübelte. Nach der Rückkehr in die

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