Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
sie nicht wieder geschüttelt hätte. Weitaus belebender allerdings waren die Worte, die er als Nächstes zu ihr sagte: »Ich bin’s, Linda. Paul Herzfeld.«
Sie riss die Augen auf, blinzelte mehrmals und schüttelte ungläubig den Kopf, der sich auf einmal völlig leer anfühlte.
»Paul?«, fragte sie, als hätte sie den Namen noch nie gehört.
Du hast es wirklich geschafft?
»Ja. Hab keine Angst mehr. Alles wird gut.« Er packte ihr Gesicht mit beiden Händen und sah ihr tief in die Augen. »Ich muss nur wissen, wo genau du gewesen bist, als die Standuhr angeschlagen hat!«
57. Kapitel
»
H
aus Töven.
Wo ist das?«, fragte Herzfeld den stämmigen Mann, der sich ihm vor dem Ausgang der Klinik in den Weg stellte.
Die Landung des Rettungshubschraubers auf dem Klinikparkplatz hatte eine Traube von Menschen angelockt, unter ihnen ein grobschlächtiger Hüne, der sich ihm mit sonorer Stimme als Bürgermeister der Insel vorstellte. »Mein Name ist Till Bandrupp, und ich verlange endlich zu erfahren, was hier vor sich geht.«
Sein Misstrauen war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, und Herzfeld verstand das nur zu gut. In seinem momentanen Aufzug entsprach er eher dem Klischee eines geistig verwirrten Serienmörders als dem eines Professors der Rechtsmedizin. Seine Kleidung war ebenso blutverschmiert wie seine Hände, der Gurt des Porsches hatte ihm beim Aufprall in den Hals geschnitten, die Haare standen in alle Richtungen, und sein Gesicht war von Schmauchspuren des aufgeplatzten Airbags überzogen. Nur Ingolf, der zutiefst erschöpft im Krankenhaus zurückgeblieben war, hatte bei seiner Ankunft noch weniger vertrauenerweckend gewirkt.
»Mein Name ist Paul Herzfeld, ich leite eine Sondereinheit beim BKA «, sagte er und zeigte dem Bürgermeister seinen Ausweis. Gleichzeitig gab er dem Rettungsarzt und dem Piloten, der sie hergeflogen hatte, ein Zeichen, ihm zu folgen, doch die beiden Männer blieben unschlüssig stehen, als Bandrupp abwehrend die Hand hob.
»Moment mal. Sie können doch nicht einfach hier auftauchen und …«
»Doch, ich kann. Und ich verspreche Ihnen, alles aufzuklären, nur jetzt hab ich dafür keine Zeit.«
Herzfeld sah dem Mann mit dem wettergegerbten Gesicht tief in die Augen und spürte, dass er es nicht mit einem Paragraphenreiter zu tun hatte, der auf die Einhaltung von Formalitäten pochte, wenn es Zeit zu handeln war.
»Bitte!«, sagte er mit Nachdruck. »Das Leben meiner Tochter Hannah hängt davon ab, dass wir jetzt schnell sind.« Bandrupp zögerte noch kurz, dann trat er einen Schritt zur Seite und sagte mit einem knappen Nicken: »Also gut. Ich bringe Sie hin. Aber ich hoffe, Sie haben unterwegs eine verdammt gute Erklärung für mich.«
Er ging voran und führte sie zu einem Elektromobil, das der Bürgermeister bei seiner Ankunft direkt neben dem Rettungshubschrauber geparkt hatte. Eine kräftige Böe ließ den Wagen erzittern, die aber bei weitem nicht mit dem Sturm der letzten Stunden zu vergleichen war, auch wenn die dunklen Wolken über der Nordsee darauf hindeuteten, dass die kurze Ruhephase sich schon wieder ihrem Ende näherte.
Bandrupp sah zum Himmel, dann zu Herzfeld, der mit seinem Tatortkoffer auf dem Schoß auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, und sagte schließlich zu dem Piloten und dem Rettungsarzt auf der Rückbank: »Sie müssen wirklich von allen guten Geistern verlassen sein, dass Sie sich hier rausgewagt haben.«
Die Männer nickten.
Wenn Ender und Hannah diesen Tag überlebten, hatten sie ihr Leben am Ende einer Bedienungsanleitung zu verdanken. Als Herzfeld vor einigen Stunden hatte nachlesen wollen, wie man das Navigationsgerät von Ingolfs Wagen programmierte, hatte er auch einen Absatz überflogen, in dem das Sicherheits- GPS -Modul des Porsches beschrieben war. Zu jenem Zeitpunkt hatte ihm die Information über das integrierte Unfallrettungssystem nur ein ungeduldiges Stirnrunzeln abgerungen. Er wollte wissen, wie man das Navi mit Geokoordinaten fütterte, nicht, was passierte, sobald sich nach einem Zusammenstoß die Airbags öffneten. Laut Herstellerangaben sollte es von da ab weniger als zehn Minuten dauern, bis die Leitstelle den Peilsender des Wracks lokalisiert und ein Rettungsteam zum Unfallort geschickt hatte.
Bei dieser Zeitangabe hatten die Ingenieure untertrieben. Es dauerte sieben Minuten, wie Herzfeld jetzt wusste. Und sie hatten auch keinen Krankenwagen geschickt, nachdem er das Fahrzeug mit Absicht gegen den
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