Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
erfüllt.
»Kann man so sagen«, antwortete Bandrupp ohne Zuversicht in der Stimme.
»Na, dann los, kommen Sie!« Herzfeld war bereits auf dem Sprung, doch der Bürgermeister blieb kopfschüttelnd stehen.
»Das hat keinen Sinn, Professor.«
»Wieso?«
»Unter dem Turm erstrecken sich etwa zwanzig Kilometer eines Bunkersystems der Nazis aus dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben den Hauptzugang vor Jahren stillgelegt, nachdem sich zwei Kinder dort unten verlaufen hatten.« Seine Miene verdüsterte sich. »Wir haben sie erst nach Tagen gefunden. Da waren sie bereits tot.«
59. Kapitel
In der Hölle.
A ls sie die Geräusche hinter der Tür hörte, war ihr klar, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war.
Schnell. Bevor er zurückkommt.
Lange, viel zu lange schon versuchte sie das Gleichgewicht zu halten. Die Drahtfedern bohrten sich in die nackten Füße, die grobe Schlinge scheuerte am Hals. Und sie war müde.
Lebensmüde.
Nun gab es kein Zurück mehr. Sie musste handeln, auch wenn es ihr nicht gelungen war, ihr Gedächtnis wiederzufinden.
Wie auch, wenn jeder Atemzug weh tut?
Sie musste nur einmal tief Luft holen, und schon hatte sie das Gefühl, zu explodieren. Wenn sie sich nicht täuschte, hatte es auch zwischen den Beinen wieder angefangen zu bluten. Sie wollte es nicht überprüfen. Allein der Gedanke, sich da unten anzufassen, schmerzte entsetzlich.
Die Geräusche vor der Tür wurden lauter, und sie schloss die Augen.
Na los. Worauf wartest du? Willst du erleben, wie er deine Klitoris mit einer Glasscherbe abschneidet? Willst du das rostige Messer zwischen den Schamlippen spüren?
Sie zog die Nase hoch, kämpfte aber nicht mehr gegen ihre Tränen an, auch wenn das jetzt alles gefilmt wurde, weil es ihr nicht gelungen war, die Kamera zu zerstören.
Was soll’s. Gibt es wenigstens Beweismittel, wenn das Schwein irgendwann einmal gefasst wird.
Sie öffnete ein letztes Mal die Augen; ließ den tränenverschleierten Blick durch den Bunker wandern. Die Glühbirne, das Waschbecken, die Pritsche – hier gab es nichts, wovon man Abschied nehmen könnte.
Nichts, außer …
Ihr Blick wanderte zurück zum Boden, neben das Bett. Dorthin, wo der Karton stand, aus dem sie den Galgenstrick genommen hatte.
Die Geräusche vor der Tür wurden lauter. Gleich würde sie sich fallen lassen. Und dennoch zwang sie sich in aller Ruhe, ihrem letzten Gedanken nachzugehen. Dabei spürte sie, wie jegliche Panik und Hetze von ihr abfiel, denn dieser letzte Blick auf den Karton hatte etwas längst verschollen Geglaubtes zurückgeholt: ihr Gedächtnis.
60. Kapitel
Helgoland.
S chnell. Ich muss da rein.«
»Das bringt doch nichts«, brummte der Bürgermeister und versuchte einen anderen Schlüssel am Bund, um die Brandschutztür zu öffnen. Das Tor zu den Bunkeranlagen des Zweiten Weltkriegs befand sich in einem deichartigen Wall, der sich an den Sockel des Leuchtturms anschloss. Er erinnerte an den Einlauf in einem Fußballstadion, durch den die Spieler aus den Katakomben auf den Platz kommen.
»Ist lange her, dass ich diesen Schlüssel gebraucht habe«, sagte Bandrupp entschuldigend. Herzfeld wackelte ungeduldig mit der Taschenlampe, die ihm der Bürgermeister in die Hand gedrückt hatte – die einzige Lichtquelle, die ihnen zur Verfügung stand, abgesehen von dem Lichtkegel des Leuchtturms, der alle fünf Sekunden direkt über ihren Köpfen die Dunkelheit zerschnitt.
»Gibt es noch eine andere Möglichkeit, da reinzukommen?«
»Eine?« Bandrupp sortierte einen weiteren seiner Schlüssel aus. »Das ist ein regelrechtes Labyrinth. Alles kaum erforscht. Viele der Gänge enden an den ehemaligen Schützenstellungen mitten im Felsengestein der Küste. Also ganz ehrlich …« Er schüttelte bedauernd den quadratischen Kopf. »Wir brauchen eine Hundertschaft, um das alles abzusuchen.«
»Scheiße!« Herzfeld schrie seine Verzweiflung heraus, trat wütend gegen die Tür.
So viele Hindernisse genommen. So nah am Ziel. Und doch gescheitert.
»Hey, was ist los? Wieso hören Sie auf?«, fragte er den Bürgermeister, der von der Tür abgelassen hatte.
»Das ist doch sinnlos, die alle durchzuprobieren«, antwortete der bedauernd und steckte sein Schlüsselbund wieder weg. »Auf eine Minute mehr oder weniger kann es jetzt ja kaum ankommen. Lassen Sie uns auf die Jungs von der Inselfeuerwehr warten, die haben die nötige Ausrüstung …«
»Einen Scheiß werde ich tun«, unterbrach ihn Herzfeld und riss ihm die
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