Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
ohnehin schon, und mein Bruder wird mich umbringen. Aber wenn Sie wirklich der sind, der Sie vorgeben, Professor, dann werden Sie den Anruf sicher orten können oder so etwas, und dann kann ich Ihnen auch gleich sagen, wo ich bin. Außerdem klingen Sie wie jemand, der Hilfe braucht, und ob Sie es glauben oder nicht, da haben wir beide etwas gemeinsam. Ich weiß, wie beschissen es sich anfühlt, wenn man in der Klemme steckt und einen braucht, der einen da rauszieht. Also vertraue ich jetzt einfach mal auf meinen Instinkt, von dem ich nicht behaupten kann, dass er mich noch nie getrogen hat, ganz im Gegenteil. Das letzte Mal, als ich auf ihn hörte, fand ich mich danach mit einem Psychopathen im Bett wieder, aber scheißegal, ich kann mich hier sowieso nicht verstecken, und Sie können nicht zu mir kommen, also, was hab ich zu verlieren?«
Und dann hatte sie ihm von Helgoland erzählt und dass sie sich auf der Insel vor einem Stalker versteckt hielt, weswegen sie auf keinen Fall wollte, dass ihr Aufenthaltsort publik wurde, und deshalb nicht zur Polizei ging. Er erfuhr von der Herrenhandtasche und von Hannahs Telefon. Und von dem Mann, bei dem sie beides gefunden hatte und der Herzfeld ganz sicher keine Informationen mehr geben würde:
»Todsicher!«
»Wo müssen Sie denn hin?«, ließ Ingolf nicht locker. Mittlerweile hatte der Sohn des Innensenators einladend die Beifahrertür geöffnet.
Ohne es zu wissen, stellte von Appen damit die entscheidende Frage:
Wohin?
Herzfeld war sich sicher, was er als Nächstes zu tun hatte. Er brauchte seinen Tatortkoffer. Beim BKA hätte er die Ausleihe quittieren müssen, aber zu Hause bewahrte er seinen privaten Koffer auf mit allem, was er für eine erste Tatortuntersuchung und die Sicherung von Beweismitteln benötigte. Außerdem wollte er Bargeld und Sachen zum Wechseln aus seiner Wohnung holen, während er auf Lindas Rückruf wartete.
»Ich hab mir ein Taxi zum Stand bestellt«, log er Ingolf an, da klingelte sein Handy.
»Linda?« Er drehte sich vom Porsche weg und konzentrierte sich auf die nur schwer zu verstehende Stimme am anderen Ende.
»Also das sag ich Ihnen gleich: Noch mal mache ich so eine Scheiße nicht mit.« Sie brüllte, als stünde sie in einem Windkanal. »Ich hab getan, was Sie wollten, ja? Bin zum Strand runter und hab seine Taschen durchsucht. Genauer gesagt, steh ich hier immer noch und würde am liebsten über die Wellenbrecher kotzen. Mann, war das eklig. Und dabei habe ich ihn nicht mal angefasst. Musste ich auch nicht. Denn sein Name steht mitten auf dem T-Shirt.«
»Erik?«
»So ist es. Quer über die Brust mit einem wasserfesten Edding geschmiert. Aber wie ich schon sagte: Was immer der Typ Ihrer Tochter angetan hat, Professor, aus dem bekommen Sie nichts mehr raus.«
Da irrst du dich,
dachte Herzfeld und musste an die Worte seiner Tochter auf der Mailbox denken. Hannah hatte nicht gesagt: »Erik wird sich bei dir melden.« Nicht: »Er wird dir weitere Informationen geben.« Sondern: »Warte auf Erik. Er hat weitere Anweisungen für dich.« Mit Betonung auf
weitere.
Die erste Anweisung hatte er heute Morgen im Kopf der zerstückelten Frauenleiche gefunden. Jetzt gab es einen zweiten Toten. Man musste kein Genie sein, um das Muster zu erkennen: Der Entführer spielte eine morbide Schnitzeljagd. Er spickte seine Opfer mit Hinweisen, die Herzfeld entweder zu seiner Tochter führten.
Oder zu ihrer Leiche.
In seinem Rücken hupte es zweimal kurz, und er drehte sich zu Ingolf um, der immer noch mit laufendem Motor auf ihn wartete. »Telefonieren können Sie auch im Auto«, rief er lachend.
Herzfeld schüttelte den Kopf und sprach wieder ins Telefon: »Danke für alles, was Sie bis hierhin für mich getan haben, Linda. Jetzt muss ich Sie noch um einen letzten Gefallen bitten: Rufen Sie die Inselklinik an, und informieren Sie einen Mann namens Ender Mueller von dem Leichenfund. Wichtig ist, dass Sie ausschließlich mit ihm reden, haben Sie das verstanden?«
Sonst wird es offiziell. Und dann fällt die Leiche in den Hoheitsbereich Schleswig-Holstein, für den ich nicht zuständig bin. Man würde mir nicht erlauben, dass ich den Toten öffne, um nach Hinweisen zu suchen …
»Wer zum Teufel ist Ender Mueller?«
»Der Hausmeister der Klinik, ich kenne ihn gut.«
»Was für ein Zufall«, höhnte Linda.
Eben nicht. Eher ein zusätzlicher Beweis, dass der Täter es auf mich persönlich abgesehen hat, und zwar in meiner Funktion als
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