Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Nummer stand nicht im dünnen Telefonbuch der Insel. Sie hatte eine Zeitlang überlegt, wie sie das Gespräch mit dem Hausmeister am besten eröffnen sollte …
»Entschuldigen Sie, aber ein Professor Herzfeld bittet Sie, nach einer Leiche zu sehen …?«
Eine Vorbereitung, die sich als unnötig herausstellen sollte, denn in der Zwischenzeit hatte Herzfeld seinen Bekannten schon angerufen und genauestens instruiert. Wenige Minuten später war Ender vorgefahren, um die Wasserleiche in die Klinik zu schaffen.
»Schon wieder so ein Lebensmüder«, hatte er gesagt und auf den Toten mit dem »Erik«-T-Shirt gezeigt, kaum dass sie bei den Wellenbrechern angekommen waren. »So haben wir uns kennengelernt, wissen Sie. Einmal im Jahr springt hier jemand von der Klippe. Wenn’s Zweifel gibt, kommt Herzfeld und seziert im Krankenhaus. Ist ein feiner Kerl.«
Linda war stumm geblieben, hatte sich nicht einmal den Regen aus dem Gesicht gewischt und nur gehofft, dass der Alptraum schnell vorbeiging. Doch das tat er nicht.
»Denke, der Professor hat recht. Das soll besser erst mal keiner mitkriegen, oder?«
Sie hatte nicht gewusst, ob der Hausmeister wirklich eine Antwort verlangte, und nur mit den Achseln gezuckt.
»Ich meine, keine Polizei mehr da, die Ärzte sind weg – und dann auf einmal eine Leiche? Nee, nee. Das gäb nur Panik, wo hier jetzt doch keiner mehr von der Insel runterkommt.«
Mit diesen Worten hatte Ender den mitgebrachten Leichensack ausgerollt und über den Toten gelegt. Zum Glück hatte er sie nicht um Hilfe gebeten, obwohl Linda an Enders angeekeltem Gesichtsausdruck zu erkennen glaubte, dass er den Umgang mit Toten nicht gewohnt war, was sie ein wenig beruhigte.
»Nicht, dass Sie mich für einen Freak halten, Lady«, hatte er ihr noch zugerufen, kurz bevor sie mit der Leiche im Gepäck Richtung Klinik gefahren waren. »Aber wenn Herzfeld sagt, es muss sein, dann muss es das. Ich vertrau ihm blind.«
Linda hatte sich erst geweigert, Ender zu begleiten, es sich dann aber anders überlegt. In ihrem Haus fühlte sie sich nicht mehr sicher, auf der Insel kannte sie niemanden, und sie hatte es satt, sich noch länger zu verstecken. Jede Gesellschaft war besser, als weiter alleine zu sein – selbst wenn es sich bei der Gesellschaft um einen kleinwüchsigen Bodybuilder mit einem merkwürdigen Sinn für Humor handelte, dem sie gerade zu den Fahrstühlen folgte, um mit ihm in den Leichenkeller des Krankenhauses zu fahren.
Sofern das Notstromaggregat nicht aussetzt und wir hier steckenbleiben.
Verwundert hätte Linda das heute auch nicht mehr.
»Ich hoffe, das verdammte Sauwetter ist in drei Tagen wieder vorbei.« Ender kratzte sich die lichte Stelle in seiner Prinz-William-Frisur. Linda fragte sich, weshalb Männer, die einen markanten Schädel hatten, sich nicht gleich eine Vollglatze schneiden ließen, wenn man ohnehin schon mehr Kopfhaut als Haare sah.
»Wieso ausgerechnet drei Tage?«, fragte sie und schloss zu ihm auf.
»Sonst schaff ich es nicht mehr zu DDT .«
» DDT ?«
»Deutschland Deine Talente. Die Fernsehshow. Ich mach das hier nicht mehr lange.«
Sie hatten eine Flügeltür erreicht, deren undurchsichtige Rauchglasscheiben bis zum Boden reichten. »Hausmeister, das ist auf Dauer nicht meins, ich bin zu Höherem berufen!«
»Aha.« Linda nickte und fragte sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, sich allein zu Hause im Dachgeschoss mit Comiczeichnungen abzulenken.
»Ich hab es mit meiner Stand-up-Comedy bis zum Recall geschafft, aber jetzt spuckt mir Anna in meine Karriere, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
DDT
!
Linda erinnerte sich dunkel, wie sie einmal in eine Castingshow gezappt hatte, in der eine schwerhörige Rentnerin Tanzeinlagen vorführte, die mehr an einen epileptischen Anfall erinnerten als an den angekündigten Breakdance. Sie wurde von der nicht minder schwachsinnigen Jury abgewählt, während ein vierundvierzigjähriger Sachbearbeiter unter frenetischem Applaus des Publikums in die nächste Runde kam, weil er sich im Windelkostüm mit Schnuller im Mund seine Fürze angezündet hatte. Linda hatte sich gefragt, welche Idioten sich bei DDT freiwillig am Nasenring durch die Manege ziehen ließen. Die Antwort stand vor ihr.
»Mein Programm heißt Body-Comedy. Ich trete nackt vor die Jury, pose dabei mit meinen Muskeln und erzähle Witze.«
In Enders Augen funkelte es, als spiegelte sich die Lichterkette eines Tannenbaums darin. »Na ja. Nicht ganz nackt. Mein
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