Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
resozialisieren. Glauben Sie das auch, Herr Professor? Ich sag Ihnen, was ich darüber denke, wie man mit verurteilten Verbrechern umgehen sollte.«
Für einen Augenblick sah man nur eine große Handfläche, dann war die Kamera verdunkelt. Als Herzfeld wieder etwas anderes außer Schatten erkennen konnte, war das Objektiv neu ausgerichtet, und Schwintowski saß auf einem Stuhl, der nicht für seine Gewichtsklasse ausgelegt schien. Über dem massiven Oberkörper spannte ein mausgrauer Wollpullover mit V-Ausschnitt.
»Ich denke, jeder Täter sollte so lange leiden wie sein Opfer. Und wie seine nahen Angehörigen. Was in meinem Fall bedeuten würde: Sadler muss bis zu seinem Tod die schlimmsten Qualen aushalten.«
Schwintowski. Lily. Rebecca. Sadler.
Herzfeld begann das Ausmaß des Grauens zu begreifen.
»Menschen wie Sadler sind nicht therapierbar. Sobald sie die Gelegenheit bekommen, suchen sie sich das nächste Opfer. Kaum war das Monster aus dem Knast, schlug es wieder zu. Und diesmal griff es sich meine Rebecca.«
Tränen liefen über Schwintowskis Wangen.
»Er hat sie in einen Keller einer stillgelegten Fleischfabrik in Hohenschönhausen geschleppt. Hier hat er sie zwei Tage lang vergewaltigt.« Seine Stimme brach, und auch Herzfeld schossen die Tränen in die Augen.
»Es war vor vier Wochen. Sven hatte Sadlers Minivan bis zu dem Parkplatz vor den Sportplätzen im Westend verfolgt. Rebecca war eine gute Fußballspielerin, müssen Sie wissen. An dem Abend hatten sie einen großen Sieg gefeiert, und es war schon spät, als sie sich am Fahrradstand von ihren Freundinnen verabschiedete. Für einen Moment war Sven abgelenkt gewesen. Er hatte Sadler schon seit Stunden verfolgt und war eingeschlafen. Als er wieder aufwachte, war Sadlers Minivan verschwunden. Der Parkplatz war leer, nur ein einziges Fahrrad stand noch da. Das von Rebecca. Sie hatte so einen Korb auf dem Gepäckträger für ihre Sportsachen. Den hatte das Schwein zurückgelassen.«
Schwintowski beugte sich nach vorne und rückte wieder etwas näher an die Kamera heran. Er verschränkte die Hände im Schoß.
»Wissen Sie, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal geschlafen habe, seitdem Martinek an meiner Haustür klingelte – mit Rebeccas Schülerausweis in der Hand.«
Seine Stimme flatterte.
»Er hatte ihn in ihrer Sporttasche gefunden. Ich hab sofort versucht, sie auf dem Handy anzurufen. Der Sadist hat sie ihre Mailbox besprechen lassen, einen letzten Abschiedsgruß für die Eltern. Danach habe ich nicht den Fehler gemacht und mich auf die Polizei verlassen. Erst recht nicht, nachdem ich hörte, welche Art Gerechtigkeit Martinek widerfahren war. Wenn Sie sich mit meinem Lebenslauf beschäftigen, werden Sie Gerüchte hören, die Ihnen bestätigen, dass ich ein Mann bin, der die Dinge gerne selbst in die Hand nimmt. Sadler hatte sich das falsche Opfer ausgesucht.«
Herzfeld nickte zustimmend und erinnerte sich an Yaos Personenbeschreibung:
»Philipp Schwintowski ist kein unbeschriebenes Blatt. (…) Die Presse nannte ihn den Buddha-Mörder, bezogen auf seine Leibesfülle. Eine Überwachungskamera hatte ihn dabei gefilmt, wie er einen säumigen Schuldner von der Brücke auf die Stadtautobahn warf, wo er von einem Lkw überrollt wurde.«
»Martinek half mir bei der Suche. Wir klapperten alle Orte ab, an denen er Sadler in den letzten Wochen beobachtet hatte. Der siebente war ein Treffer. Doch leider kamen wir zu spät. Rebecca war bereits tot, als wir sie fanden.«
Deswegen die Aufnahme von der Leiche der jungen Frau auf Martineks Laptop.
Herzfeld hasste sich für den Anflug der Erleichterung, den er spürte, als ihm klarwurde, dass es nicht Hannah gewesen war,
sondern Rebecca,
die Martinek gemeinsam mit ihrem Vater im See bestattet hatte. Die zuvor durchgeführte und auf Video festgehaltene Obduktion hatte die Taten dokumentieren sollen, die Sadler begangen hatte.
»Aber immerhin …« Schwintowski zog die Nase hoch und wischte sich mit dem Handrücken Tränen von den Augen. »Immerhin konnten wir Sadler schnappen. Wir haben ihn im Nachbarkeller gefunden, als er sich gerade die Bänder ansah, die er gefilmt hat, während er Rebecca folterte. Die Hose hing ihm an den Knöcheln. Er war leicht zu überwältigen, weil er sich gerade einen …« Schwintowski schluckte. »Wussten Sie, dass die Vergewaltigung für ihn nebensächlich war? Er wollte sich einen darauf runterholen, dass er Rebecca in den Tod
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