Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
und der Kamera und stierte Herzfeld mit einem Blick an, der von Sekunde zu Sekunde an Ausdruck verlor.
»Du hast recht, Paul. Ich bin kein Mörder. Dazu habe ich nicht den Mumm.« Er atmete schwer. »Aber es geht hier nicht nur um dich oder deine Tochter. Es geht um sehr viel mehr, das hat er mir klargemacht.«
Er?
»Wer ist er?«
»Du wirst ihn schon sehr bald kennenlernen, schätze ich. Hab Vertrauen. Er ist ein guter Mann.«
Entsetzt wurde Herzfeld klar, dass Lilys Tragödie Martineks Verstand vergiftet haben musste. Er war vollkommen aufgelöst, seine Worte waren ebenso verstörend wie seine Taten. Im Augenblick presste er sich den Handballen vor den Mund. Herzfeld sah nur noch, wie Svens Kehlkopf infolge der würgeartigen Schluckbewegungen wie ein Fahrstuhl auf- und abfuhr.
»Was hast du gemacht?«, rief er und rüttelte verzweifelt an seinen Fesseln. Nur noch wenige Sekunden, und sie würden sich lösen, da war er ganz sicher. Aber die wollte ihm Martinek nicht gewähren, der wieder seine Waffe hob.
»Du hast gesagt, du bist froh, dass ich gekommen bin«, fragte Herzfeld in einem letzten Versuch, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. »Weshalb?«
Martinek blinzelte, als würde er ernsthaft über die Frage nachdenken. Dann sagte er leise: »Damit ich am Ende nicht alleine bin.«
Er sah Herzfeld mit tränennassen Augen an und presste sich die Waffe gegen die Stirn.
»Ich hab doch sonst niemanden mehr, der mich versteht.« Dann drückte er ab.
Die Wucht der Detonation war so stark, dass Herzfeld Teile des Schädels und der Gehirnmasse ins Gesicht spritzten. Martinek zuckte noch ein paarmal, nachdem er auf dem Boden des Bauwagens aufgeschlagen war. Doch das waren nur noch die unkontrollierten Reflexe seines sterbenden Nervensystems.
49. Kapitel
H erzfeld schrie. Aus Verzweiflung. Vor Schock. Um Hilfe.
Er brüllte Martineks Namen, selbst dann noch, als dessen Gliedmaßen schon längst nicht mehr zuckten und jegliches Leben aus dem Körper gewichen war. Dann rief er nach Ingolf, und schließlich schrie er vor Schmerz, als er seine Handgelenke unnatürlich weit überdehnte, um sie aus den Fesseln drehen zu können.
Noch mehr als die blutig gescheuerten Handgelenke schmerzte schon jetzt die bittere Erkenntnis, dass Martinek ihn nicht betäubt und gefesselt hatte, um ihm etwas anzutun. Martinek hatte ihn in Schach gehalten, damit Herzfeld den Suizid seines gebrochenen Kollegen nicht verhindern konnte.
Geschafft!
Mit einem letzten Ruck hatte Herzfeld seine Fesseln gelöst, war vom Stuhl aufgesprungen und beugte sich mit einem leichten Schwindelgefühl zu der Leiche hinunter, als die Tür aufsprang und Ingolf hereinstolperte.
Sein Mantel war voller Schnee. Vermutlich hatte er betäubt darauf im Wald gelegen.
Er stützte sich an der Wand ab und beugte sich keuchend vornüber, so dass Herzfeld schon dachte, der Praktikant müsste sich wegen Martineks Anblick übergeben. Als Ingolf aber wieder aufsah, begriff er, dass der Sohn des Innensenators allein schon durch den Weg zum Bauwagen an den Rand seiner Kräfte gelangt war. Wie er selbst hatte auch Ingolf blutige Handgelenke, was darauf hindeutete, dass er sich ebenfalls befreit haben musste, um ihm zu Hilfe zu eilen.
»Halt, nicht weiter«, rief Herzfeld, und erst da bemerkte Ingolf die Blutpfütze auf dem Boden, in die er beinahe hineingetappt wäre.
»Ach du lieber Himmel, ist das …?«
»Ja, Martinek.«
»Und haben Sie …?«
»Nein. Das war er selbst. Holen Sie mir meinen Koffer.«
»Ja«, sagte Ingolf und nickte, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. Der Anblick des Todes hatte ihn hypnotisiert. Wie paralysiert starrte er auf den Körper.
»Hey, wach auf. Wir dürfen keine Zeit verlieren«, blaffte Herzfeld. Erst als er es noch ein weiteres Mal wiederholte, drang er zu Ingolf durch.
»Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
»Meinen Koffer. Bringen Sie mir mein Sezierbesteck.«
»Warum denn das?« Ingolfs Gesichtsfarbe wurde noch einmal um einige Nuancen blasser.
Herzfeld deutete auf die immer noch rot blinkende Kamera über seinem Kopf.
»Martinek hat vor seinem Suizid einen Speicherchip verschluckt. Ich muss ihn so schnell wie möglich herausholen, bevor die Magensäure ihn zerstört.«
50. Kapitel
H erzlichen Glückwunsch, Professor Herzfeld. Wenn Sie bis hierhin gekommen sind, haben Sie Ihre Lektion schon sehr bald gelernt.«
Paul hatte den stark übergewichtigen Mann, der ihn in einem beinahe vertrauten Ton mit
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