Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Namen ansprach, niemals zuvor gesehen.
»Wer ist das?«, wollte Ingolf wissen. Der Praktikant hatte sich erstaunlich schnell wieder erholt und sich wider Erwarten als große Hilfe erwiesen. Nicht nur, indem er ihm den Koffer mit dem Sektionsbesteck gebracht hatte; er hatte ihn auch bei der Öffnung der Bauchhöhle des toten Martinek unterstützt, was wegen des erst kürzlich eingetretenen Todeszeitpunkts und der äußeren Umstände einer Teilsektion auf dem Fußboden eines Bauwagens wesentlich blutiger abgelaufen war als üblich.
Um den Mikrochip aus Martineks Magen extrahieren zu können, hatte er entkleidet und in eine auf dem Rücken liegende Position verbracht werden müssen, wobei sich Ingolf für beides nicht zu schade gewesen war, obwohl man am Zittern seiner Unterlippe die enorme Anspannung ablesen konnte, unter der er stand. Körperlich wie seelisch. Die Nahtoderfahrung am See war noch längst nicht verdaut, da musste er zusehen, wie Herzfeld in weniger als fünf Minuten den Körper eines Mannes vom Hals bis zum Schambein aufschnitt, die in der Kälte des Bauwagens dampfenden, vor Blut triefenden Bauchlappen zur Seite klappte, den Magen des Toten zwischen Leber und Milz aus der Tiefe der Bauchhöhle hervorzog und dann den Magen öffnete, um darin nach der Speicherkarte zu tasten. In der Eile hatte er sogar auf Handschuhe verzichtet.
Später würde Herzfeld an diesen unwirklichen Moment im Bauwagen mit Schaudern zurückdenken, doch in jenem Augenblick hatte die Angst um Hannah jede andere Emotion blockiert.
Er dachte nicht darüber nach, dass er erstmals einen Menschen aufgeschnitten hatte, der ihm nahegestanden hatte. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um das, was er im Magen zu finden befürchtete. Ihm graute vor der Aufzeichnung, die er auf dem Chip vermutete, und doch betete er, dass das Video nicht durch die Magensäure zerstört worden war.
Und seine Gebete waren erhört worden.
Ohne die Wasserflasche, die Martinek vor seinem Tod bereitgestellt hatte, hätten sie die Blut- und Sekretreste nicht so rasch von der Speicherkarte entfernen können, die jetzt wieder in der Kamera steckte. Da der seitlich ausgeklappte Monitor nicht größer war als der Handteller eines Erwachsenen, mussten sich Herzfeld und Ingolf dicht aneinanderdrängen, um etwas erkennen zu können. Martineks Leiche hatten sie zuvor in den hinteren Teil des Bauwagens neben den ausgebrannten Ofen gezogen und notdürftig eine Decke über ihn gelegt.
»So wie es aussieht, haben Sie sich diesmal nicht an die Vorschriften gehalten«, sprach der Mann weiter in die Kamera. Der Unbekannte mit dem Doppelkinn lachte freudlos. Er stand so dicht vor der Linse, dass der Bildausschnitt nur die Partie vom Haaransatz bis zum Hals einfing. Die Aufnahme war unvorteilhaft ausgeleuchtet, und da er aus einem leichten Winkel von unten gefilmt wurde, wirkte der Fremde noch aufgedunsener. Beim Sprechen entblößte er gelbe, vom Zigarettenrauch angegriffene Zähne.
»Um bis zu diesem Punkt zu kommen, mussten Sie wichtige Beweise unterschlagen, die Sie beim Sezieren entdeckt haben. Komisch. Als Sven das von Ihnen verlangte, haben Sie ihm diese Bitte abgeschlagen.« Wieder erklang das freudlose Lachen. »Aber diesmal geht es ja auch um Ihre eigene Tochter. Blut ist dicker als Wasser, hab ich recht?«
»Wer bist du?«, flüsterte Herzfeld, und als hätte der Mann auf dem Video ihn gehört, stellte er sich vor.
»Sie fragen sich sicher, wer ich bin. Mein Name ist Philipp Schwintowski, und Sie wüssten wohl nur zu gerne, welche Rolle ich hier spiele, richtig?«
Herzfeld nickte unbewusst.
»Das ist ganz einfach zu erklären: Ich bin der Vater des Mädchens, das Sie getötet haben.«
Ingolf drehte sich ruckartig zu Herzfeld um, der seinen fragenden Blick ignorierte.
»Haben Sie die Bilder im Bootshaus gesehen?«
Die Überwachungsfotos von Sadler, die Martinek geschossen hat?
Herzfeld fühlte sich mit einem Mal so, als stünde er auf schwankenden Schiffsplanken.
»Hätte Sven diesen Bastard nicht seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis beschattet, hätte ich Rebecca niemals gefunden.«
Rebecca?
Dunkel erinnerte er sich an die Zusammenfassung der Familienverhältnisse, die Yao ihm vor kurzem durchgegeben hatte:
»Sybille Schwintowski … Verheiratet mit dem Umzugsunternehmer Philipp Schwintowski. Eine gemeinsame Tochter, Rebecca, siebzehn Jahre alt. Von den beiden fehlt jede Spur.«
»Die Richterin hat geglaubt, man könne einen Kinderschänder
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