Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Zuständigkeitsgebiet, Paul. Ich weiß zwar nicht, wie du es geschafft hast, an die Informationen zu kommen, die dich schließlich hierher zu mir führten, aber ich tippe mal darauf, du hast jemanden vor Ort, der dir hilft, richtig?«
Herzfeld nickte unbewusst.
»Diesen Hausmeister, nehme ich an. Na, ist ja auch egal. Ohne den Orkan hättest du jedenfalls keinen dazu bringen können, die Drecksarbeit für dich zu erledigen. Wäre das Inselkrankenhaus nicht evakuiert worden, hätte ein Staatsanwalt offiziell eine Obduktion eingeleitet. Und sobald die Verbindung zwischen Hannah und dem Toten herausgekommen wäre, hätte man dich von allen weiteren Ermittlungen ausgeschlossen. Kommt dir diese Situation bekannt vor?«
Das also war der Plan,
dachte Herzfeld. Martinek hatte damals an der Obduktion seiner eigenen Tochter nicht teilnehmen dürfen, und jetzt sollte Herzfeld dasselbe Grauen erleben und sich notfalls mit Gewalt Zugang zu den Ermittlungsergebnissen verschaffen müssen, um seine Tochter zu retten.
»Der Orkan hat dir einen Alleingang ermöglicht, ohne den du niemals so schnell vorangekommen wärst«, beschied Martinek.
Herzfeld hielt die Luft an und unterbrach die Versuche, sich die Fesseln abzustreifen. Sein ehemaliger Kollege hatte sich keine große Mühe mit den Knoten gegeben, vermutlich fehlte ihm die Erfahrung, jemanden ruhigzustellen.
Bestimmt hat er seinen Komplizen die Drecksarbeit machen lassen. Der Mann auf dem Video, der ihm dabei geholfen hat, die Leiche im See zu versenken. Jemand, der nicht in der Lage ist, einen ordentlichen Knoten zu binden, hat nicht das Zeug zum kaltblütigen Geiselnehmer, geschweige denn zum Serienkiller.
Herzfeld betete zu Gott, dass seine Gedanken nicht reines Wunschdenken waren.
»Ich verstehe das alles nicht, Sven. Du bist doch kein Mörder«, sagte er und suchte den Blickkontakt zu Martinek, der sich neben die Kamera gestellt hatte.
»Bist du dir sicher?«
»Ja, dessen bin ich mir sicher. Du magst vielleicht die Hinweise vorbereitet haben, und womöglich hast du auch die Leichen präpariert. Vielleicht, aber da habe ich schon ernsthafte Zweifel, geht der gesamte Plan auf dich zurück. Immerhin war die Pfählung der Richterin ja ein eindeutiger Hinweis auf ein Sexualdelikt.«
»Ich wusste, du würdest es verstehen«, sagte Martinek mit dem Anflug eines traurigen Lächelns.
»Nein. Ich mag deine Zeichen entschlüsselt haben.
Verstanden
aber habe ich sie nicht, Sven. Wieso tust du das alles?«
Wieso tust du mir das an?
Martinek biss sich auf seine aufgeplatzte Unterlippe und ließ die Pistole von der einen in die andere Hand wandern. Dann stellte er eine Gegenfrage. »Wusstest du, dass die Richterin über Sadler wahrscheinlich nur deshalb so eine milde Strafe verhängt hat, weil ihr Mann einmal ein Verfahren wegen sexueller Belästigung am Hals hatte?«
Herzfeld schüttelte den Kopf.
»Magnus Töven war Dirigent, und eine junge Frau, eine Cellistin, hatte sich an ihm rächen wollen, weil er sie wegen Unpünktlichkeit aus dem Orchester geworfen hatte. Später zog sie alle Anschuldigungen zurück, doch der Ruf des Mannes war ruiniert. Bis zu seinem frühen Herzinfarkt fand er nie wieder eine Anstellung.«
Herzfeld seufzte. »Dann weißt du ja selbst, wohin blinde Vergeltungswut führen kann, Sven. Die Töven rächt sich mit milden Urteilen an der Frau, die ihren Ehemann denunziert hat, oder vielmehr an der Gesellschaft, in der so etwas möglich ist. Aber du zerstörst meine Familie, obwohl ich deine Tochter nicht auf dem Gewissen habe.«
»Siehst du das so?«, fragte Martinek und klang etwas enttäuscht.
»Ja. Denn ich bin nicht Sadler.
Ich
habe deine Tochter weder vergewaltigt noch ermordet.«
»Nein.« Martinek machte eine Pause, in der er nachdenklich auf die Waffe in seinen Händen starrte, und sagte dann: »Lily hast du nicht umgebracht. Sie nicht.«
Sie nicht?
»Wieso betonst du das so?«
Martinek hob die Waffe, drehte die Hand seitwärts, so wie man es aus amerikanischen Kinofilmen kennt, und zielte auf Herzfelds Brust. »Wie ich schon sagte, das hier ist kein Film-Showdown.«
Ohne hinzusehen, griff er nach der Kamera neben sich, drückte auf einen Knopf an ihrer Seite und zog einen briefmarkengroßen Gegenstand aus einem Fach, das sich mit einem langgezogenen Piepen geöffnet hatte.
»Was hast du vor?«, fragte Herzfeld, der das Unheil kommen sah, doch Martinek gewährte ihm keinen Blick auf den Inhalt seiner Faust. Er stand jetzt zwischen ihm
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