Abgezockt
selbst. Zwischen Empfangsbereich und Büro begegnete er einer Reihe von Kollegen, die für mehr als Höflichkeitsfloskeln anscheinend keine Zeit hatten. Andere, die an Schreibtischen saßen, vermieden geflissentlich den Blickkontakt. Zu lächeln fiel ihm immer schwerer.
»Hi, Jenny«, sagte er verzagt.
Jennifer Costas, die Verwaltungsassistentin in der Einkaufsabteilung, blickte von ihrem Computer auf – eine schlichte, reizlose Frau in den Vierzigern, mit schmalen Schultern und breiten Hüften, die Joshs unschätzbare Kameradin war. Überraschung ersetzte den Ausdruck von Konzentration.
»Josh! Schön, Sie wiederzusehen«, rief sie.
»Ich hoffe, Sie können mich auf den neuesten Stand bringen«, sagte er, während er in seinen Arbeitsraum ging.
Jenny folgte ihm.
Er stellte seinen Aktenkoffer neben den Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Erstaunlicherweise war der Tisch relativ leer. Für gewöhnlich quoll er schon nach einer Woche Urlaub von Papierkram über.
»Was gibt’s? Berichten Sie«, sagte Josh.
»Josh, Mike Behan wünscht Sie umgehend zu sprechen.« Jenny sah ihn an und rang die Hände.
»Was, sofort?«
»Gleich, wenn Sie eintreffen, hat er gesagt.«
Mike Behan, der Vize-Geschäftsführer, hatte sein Büro auf der anderen Seite des Gebäudes. Josh musste den Weg an seinen Kolleginnen und Kollegen vorbei noch einmal zurücklegen. Wieder senkten sich Köpfe über Papierkram, der eigentlich keine Beachtung verdiente.
Warum kommt es mir so vor, als würde das kein Motivationsgespräch?,
dachte Josh, während er auf Mike Behans Sekretärin zuging. Lisa begrüßte ihn: »Hallo, Josh. Mike möchte umgehend mit Ihnen sprechen«, verkündete sie.
Josh trat ein und traf Behan beim Telefonieren an. Behan stützte sich mit einer Hand auf den Schreibtisch. Bei Joshs Erscheinen winkte er ihm lächelnd zu. Er beendete sein Gespräch, richtete sich in seinem Sessel auf und legte die Unterarme mit verschränkten Fingern auf seinen Schreibtisch.
Josh setzte sich in einen der Sessel vor dem Konferenztisch.
»Schön, Sie zu sehen, Josh«, sagte sein Chef.
»Danke.«
»Haben Sie sich von Ihrem Unfall erholt?«
»Sicher, kein Problem. Bin wieder knochentrocken.«
Behan lachte. »Erzählen Sie mir, was los war.«
Josh berichtete die Ereignisse auf der Brücke, verdrehte die Wahrheit aber ein wenig. Den nach unten gereckten Daumen erwähnte er nicht. Dafür sagte er, der Angreifer habe ihm den Stinkefinger gezeigt, nachdem der Wagen im Fluss war. Behan nickte und machte zum gegebenen Zeitpunkt ein schockiertes Gesicht.
»Und die Polizei ist machtlos?«, fragte er ungläubig.
»Ja. Sie hat keinerlei Anhaltspunkt. Sie meint, ich müsse darüber hinwegkommen, was im Klartext heißt: ›Ist dumm gelaufen. Finden Sie sich damit ab‹«, sagte Josh.
»Und Kate und Abby, wie halten die sich? Gut?«
Josh nickte. »Die sind okay.«
»Mein Beileid übrigens zum Tod Ihres Flugkameraden. Tragisch, tragisch. Sie müssen ja fast darauf warten, was als Nächstes passiert.« Behan errötete, kaum dass er den Satz ausgesprochen hatte.
Als Josh Behan ansah, ahnte er, was ihm bevorstand. »Aber da bin ich wieder. Bereit, um dort weiterzumachen, wo ich aufgehört habe«, verkündete er.
»Genau darüber wollte ich mit Ihnen reden, Josh.« Behan rutschte unbehaglich in seinem Sessel herum. »Ich habe da was in den Nachrichten gesehen, während Sie beurlaubt waren. Sie wissen bestimmt, was ich meine.«
Josh fiel etwas wie Blei in den Magen und drückte unangenehm auf seine Blase. Er ließ Behans Bemerkung unbeantwortet.
»Der Fernsehbericht war sehr schädlich, ob er nun der Wahrheit entspricht oder nicht. Und ich hoffe für uns alle, dass sich die Situation bald klärt – besonders für Sie. Als Firma können wir uns kein Risiko leisten – wir haben Investoren, Kunden und Angestellte zu berücksichtigen. Sie verstehen sicher, dass es nicht fair wäre, den Lebensunterhalt dieser Menschen wegen eines Einzelnen zu gefährden.«
Du Schweinehund. Kein Wunder, dass alle so verschreckt sind.
Josh konnte nicht glauben, was er hörte. Hatte man die Absicht, ihn wegen einer unbewiesenen Behauptung zu feuern? Er wusste, dass die Vorwürfe stimmten, aber noch war nicht Anzeige gegen ihn erstattet worden. Er machte Behans süßlichem Gefasel ein Ende, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. Dabei ignorierte er den Schmerz, der ihm den Arm hochschoss. »Kommen Sie auf den Punkt«, befahl er.
Behan sprang auf
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