Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
Vom Netzwerk:
geholt hast?“
    |246| „Ja! Ja!“ Auch Heinrich verlor nun die mühsam bewahrte Haltung. „Im Kampf gegen einen König, den niemand mehr haben will! Weil er sich wie ein Gewaltherrscher aufführt! Weil er sich Rechte anmaßt, die ihm nicht zukommen! Weil er niemanden neben sich gelten lässt! Nicht einmal seine nächsten Verwandten! Ein solcher König muss weg! Das sagen alle: die Sachsen, die Franken, die Lothringer … alle!“
    Otto schwieg dazu. Er wandte sich von Heinrich ab und machte ein paar Schritte am Straßenrand, den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Rücken knetend.
    Auch Heinrich schwieg. Seine Lippen bebten, sein Atem ging heftig. Er war erschrocken, er hatte sich hinreißen lassen. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, ruhig zu bleiben und den König, der jetzt mehr Macht denn je über ihn hatte, nicht unnötig zu reizen.
    „Hör zu, kleiner Bruder“, sagte Otto, sich ihm wieder zuwendend. „Höre mir jetzt genau zu.“
    „Nenne mich nicht ‚kleiner Bruder‘!“, stieß der lange Jüngling hilflos hervor.
    „Nun, dann nenne ich dich ‚mein Purpurgeborener‘, wenn das in deinen Ohren besser klingt. Unser Mütterchen hat dich nun mal verhätschelt. Leider scheinen die Ratschläge, die sie dir gibt, noch immer nichts zu taugen. Dabei hatte ich sie gebeten, dir gut zu raten.“
    „Sie hat mir geraten, mich nicht zu beugen und auf meinen Rechten zu bestehen!“
    „Und hat sie dir nicht gesagt, dass die Besetzung einer Burg, die mich zu monatelanger Belagerung zwingt, der falsche Weg ist, um etwas bei mir zu erreichen? Hat sie dir das nicht gesagt?“
    Darauf gab Heinrich keine Antwort.
    „Wärest du nicht der Urenkel Liudolfs, der Enkel Ottos des Erlauchten, der Sohn des großen Königs Heinrich und mein Bruder“, fuhr Otto fort, „so hättest du für das, was du getan hast, nur eines verdient: sofort an einem der Bäume, hier am Rande der Königsstraße, aufgeknüpft zu werden.“
    „Du hast feierlich versprochen …“
    „Gewiss. Und daran halte ich mich. Ich lasse dich unversehrt in die Burg zurückkehren. Dann sehen wir weiter. Allerdings hast du keine Wahl. Du wirst dich ergeben und unterwerfen. Mit einem Fußfall vor der gesamten Gefolgschaft.“
    |247| „Niemals! Das werde ich niemals tun!“, schrie Heinrich.
    „Danach wirst du ein paar Monate in Haft genommen, die verbringst du in einer unserer Pfalzen. Mehr kann ich dir und deiner Fürsprecherin, unserer Mutter, nicht zugestehen.“
    „Ich lehne ab!“
    „In dem Fall wirst du weiter belagert … so lange, bis ihr da oben hinter den Burgmauern alle verreckt seid. Ist dir das lieber?“
    „Ich übergebe die Burg, bin ja dazu bereit. Ich fordere nur freien Abzug!“
    „Das hörte ich schon.“
    „Freien Abzug. Ausreichend Verpflegung. Und eine längere Waffenruhe.“
    „Das ist nicht wenig“, sagte Otto mit einem trockenen Lachen. „Und reichlich anmaßend. Waffenruhe? Hört sich an, als hätte ich es mit einer gewaltigen Streitmacht zu tun, nicht mit einem Häuflein halb Verhungerter und Verzweifelter.“
    „Ich verlange ausreichend Vorsprung … keine Verfolgung … damit wir hingehen können, wohin wir wollen …“
    „Und wohin wollt ihr?“
    „Das … das werde ich dir nicht sagen, sonst wirst du uns ja …“
    Die Stimme versagte dem Neunzehnjährigen und er machte zwei schwankende Schritte, mit dem gesunden Arm in die Luft greifend, als suchte er Halt. Rasch trat der König zu ihm und stützte ihn.
    Zwei von Heinrichs Begleitern liefen hinzu. Auch Gero näherte sich. Hinter den Bäumen längs der Straße tauchten die Gesichter von Gefolgsleuten Ottos und des Markgrafen auf, die im Schutze des Unterholzes herangeschlichen waren und neugierig der Begegnung der königlichen Brüder zugesehen hatten.
    „Zurück!“, rief Otto. „Er fühlt sich schon besser. Kannst du stehen?“, fragte er Heinrich.
    „Es geht … ja, ja …“
    Heinrich, der den König um fast zwei Köpfe überragte, machte sich los und richtete sich auf. Der Schwächeanfall war ihm peinlich, er hatte Tränen der Scham in den Augen.
    Otto trat ein paar Schritte beiseite.
    „Nun haben wir uns doch noch umarmt, kleiner Bruder“, sagte er. „Ich bin nicht das Ungeheuer, als das du mich gerade dargestellt hast. Gleich werde ich euch meine Köche mit Brot und Fleisch hinaufschicken. Was deine Bitte betrifft … sie sei gewährt, wenn auch |248| ungern. Freier Abzug, Verpflegung, ausreichend Vorsprung, keine Verfolgung, Und jetzt

Weitere Kostenlose Bücher