Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
denke sogar an ein Bistum Brandenburg. Wenn sie nicht mehr ihre alten Götzen anbeten, sind sie im Reich willkommen und gleichberechtigt. Sie müssen diese Erfahrung machen … dieselbe, die wir Sachsen gemacht haben. Die Großväter unserer Großväter opferten noch Wodan, Donar und Saxnot. Dann kamen die Franken und brachten uns den rechten Glauben. Wir nahmen ihn an, anfangs gezwungen, später bereitwillig. Wir mussten unter fränkischen Grafen leben und fränkische Sitten übernehmen. Und was wurde daraus? Sieh mich an. Ich, ein Sachse, bin König des östlichen Frankenreichs. Was wären wir aber, wenn sie uns damals nicht zu Christen gemacht hätten? Das, was deine heidnischen Stammesgenossen, die Radegast, Triglaw und Jarovit anbeten, heute noch sind: Hinterwäldler in Sumpfburgen!“
„Ihr urteilt zu hart über sie“, wagte Petrissa einzuwenden.
„Keineswegs. Sie können uns zwar belästigen, aber niemals besiegen. Und im Grunde sind sie verletzlich, schutzlos, allen finsteren Mächten ausgeliefert. Was ist ihre falsche Freiheit wert? Immer wieder gehen ganze Dörfer in Flammen auf. Menschenjäger aus Spanien und Italien, aber auch sächsische … ja, auch sächsische überfallen sie mit ihren Banden. Zu Hunderten, Tausenden werden sie verschleppt, auf Sklavenmärkten feilgeboten, in alle Welt verkauft. Deine Brüder schuften sich für die Byzantiner in Bergwerken tot, dienen den Arabern als Verschnittene. Deine Schwestern tanzen vor dem Kalifen von Córdoba. Und warum? Weil ihnen das schützende Dach fehlt … weil sie wie Kinder umherirren, die keinen Vater und keine Mutter haben. Vater und Mutter sind das Reich und die Kirche. Ist es nicht so? Was sagst du dazu – als Bekehrte, als Christin?“
„Was den Glauben betrifft, muss ich Euch recht geben“, räumte sie ein. „Ich wünschte nichts sehnlicher, als dass sie ihren Irrglauben aufgäben, dass die Wahrheit sie erreichte.“
„Und du könntest sogar dazu beitragen!“, sagte der König lebhaft. „Du selbst!“
„Ich? Aber wie denn?“
„Das erkläre ich dir gleich. Den ersten Schritt muss dein Bruder tun. Leider ist er noch starrsinnig, kommt immer wieder mit neuen Einwänden und Forderungen. Ich habe ihm die Kette schon einmal abnehmen lassen und ihn sogar hier empfangen. Noch brachte ich ihn nicht so weit …“
|243| „Er hielt es für Verrat, es ging ihm gegen die Ehre.“
„Das weniger. Er verlangt Gold von mir, viel Gold … das kann er haben, er muss ja Geschenke verteilen. Wir sollen ihm einen Palast bauen, auch das wird möglich sein. Er will Herzog aller wendischen Völker zwischen Elbe und Oder werden. Das kann ich ihm nicht versprechen, dazu ist es zu früh. Ich könnte ihm aber zusagen, dass seine Schwester, die er sehr liebt, wie er mir beteuert hat, ihm bald nachfolgt … vielleicht in der Gesellschaft frommer Männer, denen sie bei ihrem Missionswerk helfen wird. Was hältst du davon?“
„Ihr würdet auch mich in die Heimat zurückkehren lassen?“, fragte sie mit einer Geste freudiger Überraschung.
„Ja. Immer vorausgesetzt, dein Bruder geht dir voran und erreicht, dass sie mit uns Frieden machen. Wenn du ihn überreden kannst, nicht länger zu zögern …“
„Ich darf Tugumir sehen?“, rief sie.
„Noch heute. Ich lasse dich gleich zu ihm bringen. Wenn du es schaffst, ist er noch in dieser Nacht frei. Ein Boot liegt bereit und er bekommt so viel Gold, wie er forttragen kann. Er soll drüben sagen, dass er dafür noch schnell einem sächsischen Grafen den Garaus gemacht hat. Wirst du es schaffen?“
Sie zögerte einen Augenblick.
Dann sagte sie leise: „Ich will es versuchen.“
„Gut. Und füge hinzu, dass du ihm folgen wirst, sobald er seine Gesandtschaft schickt. Ich hoffe, spätestens in einem Jahr.“
„In einem Jahr“, murmelte sie. „Wie lang wird es mir werden. Aber werde ich unseren … unseren Sohn … werde ich Wilhelm …“
„Du wirst ihn wiedersehen“, sagte Otto. „Ich werde dafür sorgen, dass du von ihm Abschied nehmen kannst. Doch nicht für ewig. Wenn die Brandenburg wieder zum Reich gehört, wirst du ihn irgendwann besuchen können. Oder er kommt eines Tages zu dir. Vielleicht als Erzbischof. Um eure Bischofskirche zu weihen.“
Eine Träne lief Petrissas Wange herab und tropfte auf ihre Hand.
Otto beugte sich vor, ergriff die Hand und drückte sie fest. Doch ließ er sie gleich wieder los, weil er spürte, dass auch ihn Wehmut packte. Er stand rasch auf.
„Es ist alles
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