Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
kommt
meine
Bedingung: Du und dein Anhang – ihr verschwindet aus Sachsen! Dazu gebe ich euch dreißig Tage. Es ist mir gleichgültig, wohin ihr euch wendet … hier im Herzogtum Sachsen habt ihr künftig keine Heimstatt mehr. Und außerhalb Sachsens bist du im Reich oder anderswo nur sicher, wenn du dich nicht wieder mit meinen Gegnern verbündest. Das ist alles. Nun geh. Stärkt euch mit Nahrung, dann macht euch bereit und zieht heute noch ab!“
Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, als Heinrich mit seiner Schar die Burg verließ. Der König und sein Markgraf hatten dafür gesorgt, dass dieser Abzug nichts vom Triumph eines eisernen Widerstandswillens bekam, sondern zur Schaustellung eines elenden Häufleins Gedemütigter und Geschlagener wurde. Auf beiden Seiten der schmalen Straße hatten sie ihre mehrhundertköpfigen Gefolgschaften in langer Reihe Aufstellung nehmen lassen, sodass die Abziehenden nur einzeln oder zu zweit passieren konnten. Heinrich, der an der Spitze ging, seinen Klepper am Zügel führend, wurde aus Achtung vor der Königsfamilie nur mit eisigem Schweigen gestraft. Alle ihm Folgenden aber mussten Hohngelächter und Beschimpfungen ertragen. Zu viel Wut hatte sich auch bei den Belagerern angesammelt, die in der Sommerhitze, ebenfalls unter Mangel leidend, zwei Monate vor der Burg gelegen hatten. Der Königssohn hatte seine Gefolgschaft durch einen Teil der Burgbesatzung verstärken können, vor allem jüngere, unternehmungslustige Leute. Pferde besaßen nur noch wenige, fast alle Tiere waren aus Futtermangel eingegangen. Die meisten der Männer, die Heinrich folgten, stapften schweigend vorüber, den Blick grimmig nach vorn gerichtet, die Lanze über der Schulter oder den Speer zur Stütze in der Faust. Einige aber blickten auch keck und herausfordernd um sich, schimpften zurück und stießen sogar Drohungen aus.
König Otto saß zu Pferde seitlich der Straße, im Schatten einer Baumgruppe. Neben ihm stand der wortgewandte Thüringer Dadi, der jedem zurief, er möge sich besinnen, der König vergebe ihm und nehme ihn in seine Gefolgschaft auf. Einige Male, wenn einer vorüber zog, den er kannte, erhob Otto auch selbst die Stimme, rief ihn mit Namen an, forderte ihn auf, zurückzubleiben und |249| seinen König nicht zu verraten. Doch der Erfolg war gering. Nur wenige traten beiseite, warfen sich vor ihm nieder und wurden weggeführt.
Als sein Bruder vorüberging, hob Otto zum Abschiedsgruß die Hand und fügte eine Geste hinzu, die sein Bedauern darüber ausdrückte, dass es so kommen musste. Als Antwort klopfte Heinrich auf den Knauf seines Schwertes und warf trotzig den Kopf zurück.
„Man soll ihnen unauffällig folgen“, sagte der König zu Gero. „Ich muss erfahren, was er jetzt vorhat.“
„Dafür ist schon gesorgt“, erwiderte der Markgraf.
40
Heinrich floh zurück nach Lothringen.
Mit einer infolge von Krankheit, Unfällen und Kämpfen unterwegs auf wenige Männer geschrumpften Gefolgschaft traf er Anfang August in der Burg Chèvremont ein.
Hatte seine Ankunft vor ein paar Monaten Freude und Zuversicht ausgelöst, wurde er jetzt mit Unmut empfangen.
„Da kommt ja der Heerführer ohne Heer!“, rief Giselbert beim Anblick des Prinzen und seiner letzten Getreuen. „Sind das deine viertausend sächsischen Panzerreiter?“
„Das Ebenbild seines Vaters“, spottete Gerberga. „Ein Trugbild! Und ich Ärmste musste darauf hereinfallen! Warum hat Gott mich so gestraft?“
Heinrichs Erscheinen bewirkte allerdings nur, dass die gereizte Stimmung am lothringischen Hof noch unerträglicher wurde. Das Herzogspaar war nach den Ereignissen der letzten Monate und Wochen heillos zerstritten.
Die Niederlage von Birten hatte Herzog Giselbert zwar unversehrt überstanden, doch hatte sein wenig heldenmütiges Verhalten in dem kurzen Gefecht seinem Ansehen schweren Schaden zugefügt. Als einer der Ersten war er auf die List der Sachsen hereingefallen, hatte mitten im Kampfe kehrt gemacht und selber „Zurück!“ und „Rettet euch!“ geschrien. Mit nur wenigen Gefolgsleuten war er nach Maastricht geeilt, wo er sich eine Mönchskutte übergeworfen und mehrere Tage im Servatius-Kloster verkrochen hatte. Von |250| dort war er weiter in andere Klöster geflohen, denen er als Laienabt vorstand, nach Stablo, Echternach und Trier. Dabei hatte er einen Bogen um Chèvremont gemacht, wo sich seine Gemahlin aufhielt.
Giselbert wusste was ihn erwartete, wenn er Gerberga wieder
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