Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
lang vermieden sie einander anzusehen und schwiegen.
„Nun …“, nach Worten zur Fortsetzung des Gesprächs suchend, klopfte er mit der Faust auf die Lehne seines Armstuhls, „deine Befürchtung … damals … dass Wilhelm etwas passieren könnte … sie war unbegründet. So weit wäre er nie gegangen, das war eine leere Drohung … so abgrundtief schlecht ist er nicht, das wusste ich. Hat die Königin dir erzählt, dass es dem Jungen gut geht und dass er der Beste ist … dort in Fulda, in der Klosterschule?“
„Ja, das hat sie. Ich bin ihr so dankbar. Und ich bin froh darüber.“
„Er wird einmal Erzbischof, ich halte mein Wort.“
Sie lachten beide kurz auf, die Spannung wich aus ihren Mienen.
„Das hat noch Zeit“, fuhr Otto fort. „Ein anderer aber – dafür werde ich sorgen – wird schon in Kürze Fürst der Heveller. Mit Sitz in der Brandenburg. Willst du nicht wissen, wer das sein wird?“
„Nein“, sagte sie traurig. „Es wird ja ein Zwingherr sein. Vielleicht Herr Gero?“
„Sein Name ist Tugumir.“
Sie sah ihn ungläubig an.
„Mein Bruder?“
„Dein Bruder. Über ihn will ich jetzt mit dir reden. Er sitzt, wie du weißt, hier in Haft. Im sichersten Kerker, mit der Kette am Fuß. Und das seit zehn Jahren.“
„Wie muss der Ärmste gelitten haben. Dass Gott sich seiner erbarme!“
„Ich bin es, der sich seiner erbarmt. Ich habe die Absicht, seine Haft zu beenden und ihn heimkehren zu lassen.“
„Ist das wahr?“, rief sie. „Ist das wirklich wahr? So wurden endlich meine Gebete erhört. Die Eingebung habt Ihr vom Himmel!“
„Mag sein. Doch nun hör zu. Es soll … es darf nicht wie eine Begnadigung aussehen. Bei der feindseligen Stimmung, die zur Zeit herrscht, würde man ihn drüben mit Argwohn empfangen. Im schlimmsten Fall als Spion des verhassten Sachsenkönigs. Vielleicht würde es ihm dort schlechter ergehen als hier. Er ist zwar der rechtmäßige Nachfolger seines Vaters, hat Anspruch auf die Würde des Knes, aber er könnte sich unter solchen Umständen kaum durchsetzen. Zur Zeit herrscht in der Brandenburg Prislaw …“
„Prislaw? Der Sohn unseres ältesten Bruders?“, fragte Petrissa. „Er lebt? Oh, das freut mich!“
|241| „Mich freut es weniger. Er ist unser hartnäckigster Feind und führt immer wieder neue Aufstände gegen uns an. Damit ermuntert er auch die anderen Stämme, die Sorben, die Lusitzer, die Abodriten … Dieser Zustand ist auf die Dauer unerträglich und beide Seiten haben davon nur Schaden. Ich will dem ein Ende machen, doch nicht mit Gewalt. Dazu brauche ich deinen Bruder als Mittelsmann. Wenn er dort hinübergeht, über die Elbe, soll er behaupten, es sei ihm die Flucht gelungen. Die Flucht aus dem Kerker hier in Magdeburg. Damit schafft er Vertrauen und es wird nicht lange dauern, bis eure Leute sich auf das Stammesgesetz besinnen und ihn anerkennen. Schon bald wird er Fürst der Heveller und Herr der Brandenburg sein. Danach soll er noch eine Weile den alten Hass schüren, zum Schein auch ein paar Angriffe auf unsere Burgwarde unternehmen. Schließlich wird er aber zu der Erkenntnis gelangen, dass damit nichts zu gewinnen ist und dass es besser sei, zu den früheren Verhältnissen zurückzukehren. Das heißt: sich wieder unter den Schirm des Reiches und meine Oberhoheit zu begeben. Er wird mir eine Gesandtschaft schicken und selbstverständlich werde ich seiner Bitte entsprechen. Wenn ich die Brandenburg wiederhabe, kann ich den Krieg leicht beenden. Das ist ein Keil … mitten hinein gestoßen in die Aufstandsgebiete. Überall werden sie dann die Waffen strecken.“
Otto schwieg und sah Petrissa erwartungsvoll an. Sie rückte seufzend ihre Haube zurecht. Ihr Lächeln war hilflos und drückte Zweifel aus.
„Nun?“, drängte er. „Wie findest du meinen Plan?“
„Ist Tugumir dazu bereit?“, fragte sie.
„Noch nicht. Es scheint, er ist noch nicht ganz überzeugt, dass dies für uns wie für euch die beste Lösung ist.“
„Die Unterwerfung?“
„Die Vereinigung. Mit dem Ziel, gemeinsam und friedlich unter einem großen Dach zu leben.“
„Als Herren und Knechte.“
„Als Christen.“
„Als Christen? Wie wollt Ihr erreichen, dass sie Christen werden?“
„Das ist der zweite Teil meines Plans. Solange diese Feindschaft herrscht, ist nichts zu machen. Sie bringen jeden um, der hinübergeht und sie zu bekehren versucht. Sobald wir dort wieder Fuß |242| gefasst haben, wird es auch mit der Mission vorangehen. Ich
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