Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
unter die Augen trat. Nachdem er sichere Kunde erhalten hatte, dass König Otto über den Rhein gegangen und wieder in Sachsen war, entschloss er sich dennoch zur Rückkehr. Inzwischen hatten sich in Chèvremont immer mehr Versprengte des Gefechts bei Birten eingefunden und der Herzogin berichtet. So war der Empfang für den Herzog eisig. Später prasselten wilde Schmähreden auf ihn ein. Gerberga holte alles hervor, was sie ihrem Gemahl schon immer vorgeworfen hatte: seinen Wankelmut, sein ewiges Zaudern. Und nun hatte er auch noch seine Feigheit bewiesen. Vergebens hielt er dagegen: Mit Recht hätte er bei Birten gezögert. Sei nicht ihr bewunderter Bruder Heinrich derjenige gewesen, der am lautesten den überstürzten Angriff gefordert hatte? Da konnte sie nur hohnlachend erwidern: Überstürzt? Mit der dreifachen Übermacht hätte sein neunjähriger Sohn als Feldherr die Schlacht gewinnen können. Doch da Unfähigkeit mit Feigheit gepaart war, musste es ja so kommen. Schlimm sei vor allem, dass er zuvor auch bei dem Besuch in Laon alles verdorben hatte, sonst könnte man in dieser Lage vielleicht noch auf König Ludwig hoffen. Doch würden dessen Einflüsterer jetzt nicht erst recht den Buckel vor Odda krümmen?
Da niemand daran zweifeln konnte, dass der König der Ostfranken seinen Sieg ausnutzen, in Kürze zurückkehren und seinen aufrührerischen, geschlagenen Herzog entweder vertreiben oder ergreifen und hart bestrafen würde, herrschte eine Zeit lang die düsterste Untergangsstimmung auf dem Burghügel von Chèvremont. Überraschend aber erschien ein Besucher, mit dem wieder Hoffnung einkehrte.
Es war Herzog Eberhard von Franken.
Nach dem erzwungenen Aufenthalt in der Burg Hildesheim von Otto schon bald begnadigt und in sein Stammland zurückgekehrt, hatte der Franke nichts vergessen – weder das Hundetragen seiner Vasallen noch die tiefe Demütigung durch seinen Fußfall – und in den Monaten der Haft, der Untätigkeit und inneren Einkehr war aus dem dumpfen Groll ein unaustilgbarer Hass auf den Sachsenkönig geworden, der selbstherrlich Strafen auf einen Mann häufte, dem sein Vater und damit letztendlich auch er selbst die Thronerhebung |251| verdankten. Gleich nach seiner Heimkehr nahm Eberhard daher durch geheime Boten Verbindung zu Heinrich auf, an das Abkommen im schwarzen Turm des Goderam erinnernd. Heinrichs Antwort, die ihn glauben machte, ganz Sachsen sei zum Aufstand bereit und auch Giselberts Lothringer seien dabei, befeuerte seine Tatkraft und er sammelte rasch ein ansehnliches Heer. Diesmal wollte er nicht wie im Vorjahr als Verbündeter Thankmars den Erfolg durch Untätigkeit und Abwarten gefährden. Er war bereit, doch bevor er sich zum vereinbarten Treffpunkt der Streitkräfte aufmachen konnte, erreichte ihn die Nachricht von Ottos Sieg bei Birten.
Der Schlag traf ihn hart. Er zweifelte nicht, dass der verlogene Sachsenprinz, fiele er seinem Bruder in die Hände, die Rädelsführerschaft des neuerlichen Aufstands ihm, Eberhard, anlasten und behaupten würde, er habe ihn in der Gefangenschaft zum Mittun erpresst. Auch von Giselberts Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit hielt er nicht viel. Nicht noch einmal würde Otto sich auf die Komödie einer
deditio
einlassen. Diesmal würde es den Kopf kosten.
Eberhard eilte nach Mainz, um Erzbischof Friedrich um Rat zu bitten. Der schlaue Prälat hielt sich anfangs zurück und verwies auf das Wunder der heiligen Lanze. Dass der König sich offenbar ihrer bedient und während des Schlachtgetümmels erfolgreich die Hilfe des Herrn angerufen hatte, verschaffe Otto, was immer man hinter vorgehaltener Hand dazu meine, einen unschätzbaren Vorteil. So stehe es ihm, dem ersten Diener Gottes im Reich, nicht zu, Unternehmungen gegen den im Namen des Herrn Gesalbten zu unterstützen.
Später, bei einem Becher Moselwein, gab Friedrich allerdings freimütig zu, das Wohl der Kirche im Auge behalten zu müssen, insbesondere das des Erzbistums Mainz, welches er nach wie vor durch Ottos Magdeburger Machenschaften gefährdet sähe. Und dann umriss er mit aller Vorsicht die Möglichkeiten für ein Bündnis, die er schon seinerzeit in der Motte des Goderam angedeutet hatte. Dabei legte er aber großen Wert auf die Feststellung, kein Königsmörder sein zu wollen und nicht einmal daran zu denken, dass Otto dem Thron entsagen müsse. Es gehe ihm nur darum, die Selbstherrlichkeit des obersten weltlichen Machthabers auf ein vernünftiges, gottgefälliges Maß zu
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