Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
sie abgezogen sind.“
„Seid Ihr nun fest entschlossen, Herr, sie zu verfolgen und zum Kampf zu stellen?“
„Sie zu stellen – ja, ob zum Kampf … das wird sich ergeben“, erwiderte Kurzbold mehrdeutig.
„Der Mörder meiner Mutter wird sterben – und wenn es Herzog Eberhard selbst ist!“
„Der gehört
mir
schon“, sagte Graf Udo ruhig und in einem Ton, als handele es sich um eine längst beschlossene und besiegelte Sache.
Was die Auskünfte betraf, die die Grafen benötigten, so waren sie ungenau und widersprüchlich. Der Burgherr, der infolge seiner Verletzung lange bewusstlos und noch immer etwas verwirrt war, konnte nicht sagen, ob die Herzöge und ihre räuberischen Gefolgschaften vor vier, fünf oder sechs Tagen durchgekommen waren. Auch die Alten widersprachen einander. Die beiden Knaben zeigten in unterschiedliche Richtungen, als sie gefragt wurden, wohin sich die Plünderer gewandt hatten. Der Priester Drogo war mit Aufträgen seines Herrn in den Weilern des Burgbezirks unterwegs gewesen und erst zwei Tage zuvor, als alles geschehen war, zurückgekehrt.
|291| „Wir müssen also erst einmal Erkundigungen einziehen“, entschied Kurzbold. „Im schlimmsten Fall sind sie uns schon über den Rhein entkommen. Aber vielleicht treiben sie sich noch in der Nähe herum.“
„Lasst mich das übernehmen!“, rief Aimo.
„Und ich könnte Euch dabei nützlich sein“, schlug Drogo vor. „Die Menschen sind misstrauisch. Schweigen lieber, aus Angst vor Vergeltung. Zu mir haben sie Vertrauen, ich bin ja einer von ihnen.“
„Aber Vorsicht!“, mahnte Graf Udo. „Keine unbesonnenen Reden, keine leichtsinnigen Vorstöße. Sie dürfen nicht wissen, dass wir schon hier sind. Verstanden? Sind sie gewarnt, ist alles verdorben. Du sollst deine Rache bekommen, Junge. Aber auch ich will die meine haben!“
Die beiden Grafen quartierten sich mit ihren Gefolgschaften in der verödeten, verwüsteten Motte ein, ließen die Zelte in der notdürftig gesäuberten Vorburg errichten und beschlossen, hier die Rückkehr der beiden Kundschafter abzuwarten. Der junge Adelige Aimo und der leibeigene Priester Drogo, der ein Pferd aus dem Tross erhielt, setzten sich noch am selben Tag auf die Spur der beiden Herzöge. In der Nacht starb Aimos Mutter, dem Sohn blieb erspart, ihren schrecklichen Todeskampf miterleben zu müssen.
Die Grafen richteten auf dem Turm der Motte einen Beobachtungsposten ein und stiegen meist selbst dort hinauf, einander ablösend. Kurzbold ließ sich dabei immer von seinem neuen Leibdiener Bertulf begleiten, wobei er vorgab, dass seine über fünfzigjährigen Augen Entferntes nicht mehr gut wahrnehmen könnten. Der junge Mann träumte seinem Mädchen nach, ertrug aber Kurzbolds Aufmerksamkeiten und machte sich auch sonst dem neuen Herrn beflissen nützlich. Als Gefangener wollte er nicht auf einem Sklavenmarkt und später vielleicht in einem Salzbergwerk landen. Er war es dann auch, der schon am dritten Tag zwischen zwei bewaldeten Hügeln den Priester auftauchen sah. Drogo hatte es so eilig, dass er das alte, lahme Trosspferd auf der letzten halben Meile an einen Baum band und, seine dünnen Beine werfend, zu Fuß der Motte entgegen strebte.
Die Grafen Udo und Konrad Kurzbold traten ihm am Tor der Vorburg entgegen.
|292| „Sie sind noch hier!“, schrie er schon von weitem.
„Aber morgen ziehen sie ab, zum Rhein“, setzte er hinzu, als er atemlos herankam. „Wollen bei Andernach hinüber.“
Die gräflichen Vettern umarmten sich.
„Bei Andernach!“
„Ganz in der Nähe!“
Dann berichtete Drogo, was er noch über die Herzöge und ihre Absichten erfahren hatte. Unterwegs hatte er einen entlaufenen Mönch zum Kleidertausch bereit gefunden. Mit seiner natürlichen Tonsur, in der zerschlissenen Kutte, den Bettelsack über der Schulter, war er dreist, um Schutz und eine Übernachtung bittend, in das herzogliche Lager eingedrungen. Er hatte die Herzöge gesehen und an den Feuern Gespräche belauscht, bei denen auf ihn, der für die Krieger ein menschliches Nichts war, niemand Rücksicht genommen hatte.
„Die Herren Herzöge benahmen sich sehr ungezwungen“, berichtete der Priester. „Sie schlemmten, spielten und führten laute, wilde Reden. Jeden Tag soll es so gehen. Sie machen sich darüber lustig, dass der König und die Grafen weit über hundert Meilen entfernt eine Festung belagern, in der man sie irrtümlich vermutet. Auch über den Bruder des Königs machen sie ihre
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