Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
betrachtete. „So hausen nun Franken in einer fränkischen Grafschaft.“
„Vater!“, schrie Aimo, sprang vom Pferd und stürzte nach der Treppe, die vom Turm der kleinen Hügelburg herab führte. Auf die beiden Jungen gestützt, kletterte der offenbar verletzte Burgherr die Stufen herab. Der große, schwere Mann hielt den Kopf schief und hatte den Hals und eine Schulter mit einer Wundbinde umwickelt.
„Was haben sie dir getan?“, rief Aimo, der über die letzten Stufen dem Vater entgegensprang und ihn umarmte.
„Vorsicht, nicht so stürmisch, mein Sohn“, erwiderte Arnfried, das Gesicht vor Schmerz verzerrt, doch dabei um ein Lächeln bemüht. „Ein Schwerthieb. Ging zum Glück eine Handbreit daneben, sonst wäre der Hals durch gewesen.“
„Und Mutter?“
„Liegt da oben, es geht ihr schlecht. Sie wird sterben.“
|289| Aimo hastete die übrigen Stufen hinauf und verschwand im Turm.
„So sehen wir uns also noch einmal wieder“, sagte der alte Burgherr zu den Grafen. „Wir glaubten schon, von aller Welt verlassen und vergessen zu sein.“
„Ich hoffte, sie hätten dich verschont“, sagte Kurzbold. „War Eberhard selbst hier?“
„Der war hier“, erwiderte Arnfried, bitter auflachend. „Unser Herzog in höchsteigener Person! Hat da drinnen“ – er deutete zum Saalbau hin – „ein wildes Gelage gefeiert. Mit dem anderen, dem Lothringer. Es ging hoch her. Ich musste den Herren als Mundschenk dienen. Die Fässer, die sie nicht aussoffen, ließen sie mitgehen. Ich kann euch nichts anbieten, habe nichts mehr. Hier sind nur noch wenige übrig … ich, meine Frau und der Alte da drüben, den verschonten sie, weil er ja doch bald sterben wird. Auch eine alte Magd ist noch da. Ja … und die beiden Jungen, die versteckten sich und hatten Glück. Einige meiner Männer erschlugen sie. Die Knechte, die Frauen, die Kinder … alle schleppten sie mit. Meine Frau liegt da oben, ihr ist nicht mehr zu helfen. Sie warf sich dazwischen, als sie sich auf unsere junge Nichte stürzten. Da stachen sie ihr ein Auge aus. Nun siecht sie dahin.“ Eine Träne rollte ihm die Wange herab, als er fortfuhr: „So geht es hier zu. So enden wir nach einem Leben voller Kämpfe und Mühsal. Der König ist weit und der Herzog straft uns, weil er den König treffen will. ‚Kannst dich beim König beschweren!‘, rief er mir zu, als er mit seiner Horde abzog. ‚Aber der kann nichts für dich tun, dem geht es noch schlechter, der ist auch bald am Ende!‘ Dann verschwanden sie mit drei hoch beladenen Wagen. Es ist keine Bank mehr da, kein Stuhl, kein Tisch … alles zertrümmert oder verbrannt. Nun, die Sonne scheint, setzen wir uns auf die Treppe.“
Der Burgherr ließ sich ächzend auf der untersten Stufe der Treppe des etwa fünfzehn Fuß hohen Hügels nieder. Mit kurz aufblitzender Freude winkte er ein paar jungen Männern aus seiner Gefolgschaft zu, die mit seinem Sohn zurückgekehrt waren. Kurzbold, Udo und einige Anführer ihrer Gefolgschaften umstanden ihn, als Aimo sichtlich erregt die Treppe herab kam. Ihm folgte ein ärmlich gekleideter Mann mit struppigem Bart, der ein kunstvoll geschnitztes Kreuz in der Hand hielt.
„Ich werde den finden, der ihr das angetan hat!“, rief Aimo. „Und wenn ich ihn noch in der Hölle suchen muss. Er wird bezahlen für ihre Leiden!“
|290| „Dafür ist ihr die himmlische Seligkeit gewiss“, bemerkte der Bärtige sanft. Er verbeugte sich gegen die beiden Grafen.
„Das ist Drogo“, sagte Arnfried. „Er ist der Priester unserer Eigenkirche. Hat sich selbst gebildet, kann etwas Latein. Sein Vater ist einer meiner Leibeigenen.“
„Er
war
es, Herr“, berichtigte Drogo. „Sie haben ihn totgeschlagen.“
„Ja … das vergaß ich. Der ist auch nicht mehr da.“ Der Blick des Burgherrn fiel auf das Kreuz in der Hand des Priesters. „Hat sie dir das gegeben? Es hing immer dort oben an der Wand.“
„Ich wollte es nicht annehmen, doch sie bestand darauf. Es soll auf den Altar … als Ersatz für das silberne, das sie geraubt haben. Sie haben alles mitgenommen, was in der Kirche Wert hatte“, fügte er, an die Grafen gewandt, hinzu.
„Vielleicht ist es noch nicht zu spät“, sagte Kurzbold, „und wir können ihnen die Beute noch abjagen.“
„Wichtiger ist die Rache!“, stieß Aimo hervor.
„Deine Ungeduld gefällt mir“, sagte der kleine Graf. „Auch wir sind ungeduldig. Aber noch wissen wir nicht, wie viele Tage Vorsprung sie haben und in welche Richtung
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