Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
alles“, fuhr Otto fort, mitgerissen von seinen Zukunftsentwürfen. „Da sind ja noch andere Sprosse, die zu schönsten Hoffnungen berechtigen. Poppo ist für das Bischofsamt reif, ich muss ihn als Kanzler ersetzen. Wer kommt in Frage? Nur einer: mein Bruder Brun.“
„Aber verzeiht … der ist doch erst vierzehn Jahre alt. Ihr wollt ihn zum Kanzler machen?“
„Er hat Verstand und ist schon jetzt ein Gelehrter. Aber ich will nicht, dass er nur Pfaffenweisheit und Bücherstaub schluckt. Ich brauche ihn und er muss sich bewähren – je früher, desto besser. Eines Tages wird er Erzkanzler sein und vielleicht Erzbischof. Und Erzbischof wird auch noch ein anderer … Wilhelm, mein ältester Sohn. Ja, das habe ich … habe ich jemandem versprochen.“
|315| Der König unterbrach sich, schien einen Augenblick lang abwesend zu sein und lächelte versonnen.
„Ihr habt es bereits versprochen … und wem?“, fragte der Kämmerer neugierig.
„Natürlich dem Höchsten dort oben!“, erwiderte Otto und deutete lachend zum Himmel. „Und mir scheint, er hat nichts dagegen. Sonst würde er mir nicht so viel Gunst erweisen … mir und meiner Familie.“
„Mit Ausnahme Eures Bruders Heinrich“, wandte Hadalt vorsichtig ein.
„Ja, unserm ‚Purpurgeborenen‘ scheint es nicht gut zu gehen“, sagte Otto nachdenklich. „Er soll im Kloster Stablo sein. Angeblich konnte er nicht weiter, weil ihn seine Verwundung plagte. Doch ich vermute, dass Eberhard und Giselbert ihn loswerden wollten. Sie brauchten ihn nicht mehr, er war nur noch eine Belastung für sie. Vielleicht hat ihn das zur Besinnung gebracht. Wenn er zurückkehrt und sich unterwirft, so wie der Brauch es vorschreibt, öffentlich, mit einer
deditio
… dann wird mir nichts anderes übrig bleiben, als ihm zu verzeihen.“
„Vielleicht hat er aber inzwischen erfahren“, gab Hadalt zu bedenken, „dass eine Gruppe sächsischer Tollköpfe wieder einmal seinen König verraten hat. Er könnte glauben, dass die ihn brauchen … und wird vielleicht nicht widerstehen können. Darüber solltet Ihr Euch Gewissheit verschaffen.“
„Du hast Recht“, sagte Otto, plötzlich wieder missgestimmt. „Ich bin zwar überzeugt, dass er aufgegeben hat. Doch wer weiß … ja, ich sollte mir Gewissheit verschaffen.“
Es war Hadalt selbst, den der König nach dem hundert Meilen entfernten Kloster Stablo schickte. Am zehnten Tag kehrte der Kämmerer unverrichteter Dinge zurück. Er hatte Heinrich nicht mehr angetroffen. Kaum war die Kunde vom Tod der Herzöge nach Stablo gelangt, hatte der neunzehnjährige Prinz sein Pferd satteln lassen und war mit seiner kleinen Gefolgschaft davongeritten. Über sein Ziel hatte er den Mönchen keine Auskunft gegeben.
Indessen gab es schon jetzt keinen Zweifel, dass dem König von jenseits des Rheins, aus seinem Stammland, vorerst keine Gefahr drohte. Was sich im Frühjahr in Magdeburg ereignet hatte, wiederholte sich. Unentwegt trafen trotz widrigen Oktoberwetters in der |316| Pfalz Ingelheim Besucher ein, die über den Rhein gekommen waren, erst einzeln, dann in kleineren und größeren Gruppen, alle bestrebt, einander in Reue- und Treuebekundungen den Rang abzulaufen und sich wieder im Licht der königlichen Gnade zu sonnen. Bischöfe, Äbte, Grafen, Vögte, Burgherren, kleine Lehensempfänger – sie alle zeigten sich hoch beglückt über das, was bei Andernach geschehen war.
Für ihr plötzliches Verschwinden auf dem Wege nach Breisach und dort aus dem Lager hatten sie abenteuerliche Erklärungen und durchsichtige Ausreden vorbereitet. Alle hatten nur dem König, dem Reich und der Kirche gegen die verabscheuenswerten Empörer dienen wollen: die Prälaten, indem sie unter Einsatz ihres Lebens Kirchen und Klöster vor Schäden bewahrten; die Grafen und Vögte, indem sie Krongut verteidigten; alle anderen, indem sie ihre kostbaren Lehen dem königlichen Lehnsherrn erhielten. In ihrem Eifer, den räuberischen Rotten der Verschwörer nachzueilen und sich ihnen entgegenzuwerfen, hätten sie angeblich vergessen, die Erlaubnis des Königs einzuholen und sich abzumelden. Wenn Otto sie fragte, auf welche Weise sie den selbst erteilten Auftrag erfüllt hatten, wurden die meisten kleinlaut. Den einen waren gar keine Empörer begegnet, andere hatten einer angeblichen Übermacht nicht standhalten können. Es wurden aber auch mehr oder weniger gut erfundene Heldentaten berichtet.
Unbarmherzig ließ Otto die Reumütigen sich in Widersprüche
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