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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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pflügten das Wasser. Das Boot nahm Fahrt auf.
    „Wartet! Zurück! Zurück!“
    Ein Mann mit Pelzkappe, doch ohne Mantel, stand am Ufer und winkte heftig.
    „Der Herzog!“, schrie Raoul. „Es ist Herzog Giselbert! Zurück!“
    „Weiter! Weiter!“, brüllte der Behelmte. „Hier kann keiner mehr mit, sonst …“
    „Umkehren!“, befahl Raoul.
    „Weiter, sage ich!“
    „Du leistet gleich den Fischen Gesellschaft, du Schurke!“
    „Das werden wir sehen!“
    |309| Die beiden rangen miteinander. Inzwischen hatten aber die Ruderer, die ihren Herrn, den Kaufmann, noch zu retten hofften, das Boot schon gewendet.
    Herzog Giselbert war bereits bis zu den Knien im Wasser und watete ihnen entgegen.
    „Lasst mich hier nicht zurück!“ flehte er. „Sie verfolgen mich!“
    „Wir werden untergehen, Herr!“, rief einer der Drei, die entkommen waren.
    „Nehmt mich mit! Ich bin leicht, ich wiege nicht viel!“
    „Ihr dreckigen Kerle!“, schrie Raoul. „Es ist unser Gefolgsherr! Ist das die Treue, die ihr geschworen habt?“
    Der Vorwurf hatte Wirkung. Der Behelmte ließ von ihm ab. Er beugte sich sogar selbst mit den anderen über die Bootswand, um Giselbert zu helfen. Der Herzog verlor dabei seine Zobelfellkappe, sie schwamm gleich mit der Strömung davon. Der Kahn schwankte und lag nur noch eine Handbreit über dem Wasser, das hereinschwappte. Giselbert wurde heraufgezogen, landete stöhnend und wassertriefend im Boot und ließ sich erschöpft auf eine Truhe fallen.
    „Da ist unser Herr, er taucht auf!“, rief einer der Ruderer und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den sternenbesäten Mantel zwischen den Wellen. „Er lebt vielleicht noch!“
    „Der ist hin, den rettet nichts mehr!“, schrie der Behelmte. „Sollen wir das Boot mit der Leiche belasten?“
    „Worauf wartet ihr noch? Wollt ihr, dass sie mich umbringen?“, jammerte Giselbert. „Los, los! Seht doch, da kommen sie schon! Fahrt zu! Und gebt mir eine Decke! Wer hat einen Mantel für mich? Einen Mantel! Mir ist so kalt … entsetzlich kalt …“
    Vom Dorf her liefen mehrere Männer herbei.
    Als sie das Ufer erreichten, hatte der Kahn aber schon so weit abgelegt, dass er nicht mehr erreichbar war.
    Einer schleuderte seine Lanze hinterher, traf jedoch nicht.
    Ein zweiter holte ebenfalls aus.
    Graf Kurzbold drückte seinen Arm nieder.
    „Lass es, du könntest den Falschen treffen. Wir kriegen ihn noch. Oder sollte etwa …“
    Er riss die Augen weit auf und starrte dem hoch beladenen Boot hinterher, das sich im verlöschenden Tageslicht als dunkles Gebilde von dem Grau des Flusses und des Himmels über der Festung Andernach abhob.
    |310| Es hatte schon fast die Mitte des Flusses erreicht.
    Plötzlich waren Stimmen von dort vernehmbar – Schreie, Flüche.
    Es schien, dass Fracht abgeworfen wurde. Zu Seiten des Kahns spritzte das Wasser hoch auf.
    Doch die Schreie klangen immer verzweifelter, gingen in hoffnungsloses Geheul über.
    Und dann sahen die Männer am Ufer, wie sich das dunkle Gebilde zur Seite neigte – langsam, doch stetig.
    Und plötzlich, in Augenblicksschnelle, verschwand es.
    Der breite Strom wälzte sich vorwärts, als sei nichts geschehen.
    Von dort, wo das Boot untergegangen war, sah und hörte man nichts mehr.
    Giselbert, der Herzog der Lothringer, und alle, die sich mit ihm auf dem Lastkahn befanden, waren im Rhein versunken.

49
    König Otto empfing die Nachricht von den Ereignissen des 2. Oktober schon am Abend des übernächsten Tages in Ingelheim. Mit einem schnellen Ritt und mehreren Pferdewechseln hatte der Bote der Grafen an jedem der beiden Tage gut vierzig Meilen zurückgelegt.
    Erst kurz vorher war Otto mit der kleinen Gefolgschaft, die ihm geblieben war, knapp hundert Reitern mit ihren Knechten, wieder in der zuverlässig gesicherten Pfalz eingetroffen. Herzog Herrmann, der mit zwei Hundertschaften die Truppen seiner Vettern Udo und Konrad Kurzbold verstärkt hatte, war mit den Resten seines Heeres, mit denen er nicht mehr viel ausrichten konnte, nach Schwaben, in seine Residenz am Bodensee, zurückgekehrt.
    Otto hatte voller Ungeduld auf Nachrichten von den fränkischen Grafen gewartet.
    Es war ihm gelungen, die tiefe Verzweiflung, die sich seiner bemächtigen wollte, nachdem seine Sachsen ihn vor Breisach verlassen hatten, niederzukämpfen oder sie, wenn sie ihn doch von Zeit zu Zeit packte, vor seiner Umgebung zu verbergen. Der Kämmerer Hadalt und Graf Raban, die fast immer in seiner Nähe waren, nahmen kaum

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