Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
beiden hohen Geistlichen verkündet hatte, hielt der König, wie immer wieder in diesen Tagen, eine Rede zu den Grundsätzen, die seine Herrschaft bestimmen sollten.
„Es soll aber niemand denken“, rief er der großen Versammlung in der Königshalle zu, „dass solche Urteile sich gegen die Kirche und gegen den christlichen Glauben richten! Priester und Bischöfe sind Menschen, die schwach sein können und nicht immer fehlerlos handeln. Für ihre Vergehen werden sie büßen und wenn sie dies aufrichtig tun und bereuen, wird ihnen vergeben und sie werden in ihre hohen Ämter zurückkehren. Unerschütterlich groß und gerecht aber ist und bleibt unsere heilige Kirche, deren höchster Protektor ich, der König, bin. Denn sie verbreitet den christlichen Glauben, der uns eint, ob wir nun Sachsen, Franken, Bayern, Schwaben oder Lothringer sind. Er eint uns so wie die Sprache, die wir überall sprechen, unser gutes Diutisk, das die fränkische Zunge ein bisschen anders spricht als die sächsische, die schwäbische anders als die bayerische, das jedoch überall gut verstanden wird. Ist es nicht an der Zeit, dass unser christliches Reich einen neuen Namen bekommt? Ist es denn noch ein
regnum Francorum orientalium
? Ist es überhaupt noch ein
regnum Francorum
? Ist es noch |319| immer ein Reich der Franken? Herrschen Franken über Sachsen, Bayern, Schwaben, Lothringer? Nein! Ein solches Reich ist es nicht mehr. Es ist ein neues Reich, ein geeintes Reich, in dem kein Volk über das andere, kein Stamm über den anderen herrscht. Vor zwanzig Jahren, als mein Vater zur Macht kam, gab es in Bayern einen Fürsten, der ihn nicht dulden wollte und sein eigenes Königreich ausrief. Das ging nicht gut und er musste sich unterwerfen. Doch der Name, den er seinem Königreich gab, war ein guter und er gefällt mir noch heute. Er nannte es
regnum Teutonicorum
– das Reich der Deutschen!“
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Der König hatte mit seiner Vermutung, Heinrich betreffend, immerhin teilweise Recht behalten. Sein Bruder begab sich nicht nach Sachsen, um weiter zu kämpfen. Aus Angst, ohne seine toten Mitverschwörer allein zur Verantwortung gezogen zu werden, sann er nur noch auf Rettung und nahm den viel kürzeren Weg nach Chèvremont.
Der Herzogin Gerberga kam sein Besuch, der dritte in diesem Jahr, jedoch höchst ungelegen. Sie war mit Reisevorbereitungen beschäftigt.
Auf dem Burghof von Chèvremont standen Wagen und Lasttiere bereit. In der großen Halle trugen Knechte und Mägde alles zusammen, was mitgenommen werden sollte: Teppiche, Möbel, Truhen und Körbe mit Kleidung, Kopfputz, Schuhen, Hausrat, die schweren, eisenbeschlagenen Kisten mit Schmuck und Tafelgeschirr von edlem Metall. Leichtfüßig, vor sich hin summend, die Haare gelöst, im Hausgewand, eilte die Witwe Herzog Giselberts hin und her, gab Anweisungen, fügte hier dies, dort jenes hinzu, ließ alles sicher verschließen, verpacken, verschnüren. Die Schlüssel zu den Vorhängeschlössern trug sie am Gürtel.
„Aber was will er denn noch von mir?“, fragte sie ungehalten den Burgvogt, der den Besucher meldete. Er hatte Heinrich schon in die Burg gelassen.
„Es scheint, dass Herr Heinrich Eure Hilfe braucht“, antwortete er.
|320| „Meine Hilfe? Ich selbst brauche Hilfe. Was könnte ich noch für ihn tun?“
„Mich retten, Schwester! Ich setze meine ganze Hoffnung in dich! Sonst droht mir der Untergang!“
Es war Heinrich selbst, der die Weisung des Burgvogts, im Hof zu warten, nicht beachtete und mit diesen dramatischen Ausrufen in die Halle stürmte. Er eilte auf seine Schwester zu und küsste sie. Gerberga ließ es sich seufzend gefallen, schob ihn aber gleich weg.
„Da bist du also schon wieder. Scheinst dich erholt zu haben, siehst recht wohlgenährt aus. Woher kommst du denn?“
„Aus Stablo. Ich musste die anderen ziehen lassen, konnte nicht weiter, hatte Fieber. Meine Verwundung …“
„Du weißt, was bei Andernach geschehen ist?“
„Ich erfuhr es vor ein paar Tagen im Kloster. Giselbert ist auf der Flucht ertrunken. Ein schreckliches Ende, nicht gerade heldenhaft.“
„Es steht dir nicht zu, das zu beurteilen“, sagte sie kühl. „Die fränkischen Grafen, Oddas Getreue, sollen ihn und Eberhard in eine Falle gelockt haben. Armer Kerl, er hat nicht mal ein Grab. Was immer man von ihm halten mochte – das hat er nicht verdient. So endeten nun eure kühnen Unternehmungen.“
„Ich hatte ja nichts mehr damit zu tun. Wenn ich dabei gewesen wäre
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