Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Jahre alt, war eine verblühte einstige Schönheit, aber noch straff und energisch und ein Muster an Frömmigkeit. In ein dunkles Gewand von schwerem Brokat gehüllt, mit Juwelen am Hals und am Arm, das ergrauende, von einem Schleier zum Teil bedeckte Haar gescheitelt und glatt zurückgekämmt, saß sie kerzengerade in ihrem Armstuhl und nichts entging ihren wachsamen Blicken. Ihre Miene hellte sich auf, als sie gleich nach Petrissa ihren Sohn Heinrich am |41| Eingang auftauchen sah. Dessen lärmender Auftritt blieb allerdings von niemandem in der Halle unbemerkt.
Mit raschen Schritten trat der junge Mann ein und schrie: „Aufgepasst, Mädchen!“
Und da flog schon der tote Fuchs durch den Raum und landete auf dem Schoß einer ältlichen Stiftsdame, die gleich rücklings von der Bank kippte. Die anderen Damen sprangen kreischend auf und zur Seite.
„Herr Heinrich!“, rief Bischof Bernhard, die Hände ringend.
Er wollte noch etwas hinzufügen, unterließ es jedoch, weil er mit einem kurzen Seitenblick wahrnahm, dass die Königmutter seine Empörung nicht teilte. Die hohe Frau seufzte zwar, lächelte aber nachsichtig und wies ihre Damen an, sich um die Gestürzte zu kümmern, die wimmernd am Boden lag.
„Diesen Übermut muss er sich abgewöhnen“, sagte sie zu dem Chorherrn Friedrich, der seine Lesung unterbrochen hatte.
„Oh, er ist jung, freut sich des Lebens und ist voller Tatendrang“, erwiderte der eher amüsierte Geistliche. „Eine Herrschernatur, die auch mal rücksichtslos sein darf und sich vergnügen will. Gott hat es so eingerichtet.“
„Nun, dann wollen wir es ihm durchgehen lassen. Tadeln muss ich ihn aber trotzdem, weil er die Totenmesse versäumte.“
„Er wird noch vielen Messen beiwohnen.“
„Da habt Ihr wohl Recht.“
Der Vorfall hatte auch auf der anderen Seite der Halle Aufmerksamkeit erregt.
Thankmar blickte vom Spiel auf und warf seinem dreizehn Jahre jüngeren Halbbruder einen düsteren, verächtlichen Blick zu. Seine Gefolgsleute tauschten leise Bemerkungen über den „Gaukler“, der seine Späße besser „auf dem Markt“ zeigen sollte.
Die drei Hunde umkreisten den Fuchskadaver aufgeregt kläffend, fielen ihn an, verbissen sich in ihm und zerrten ihn hin und her.
„Ruf diese Ungeheuer zurück, sie verderben den Pelz!“, schrie Heinrich.
Aber Thankmar grinste nur herausfordernd.
Der junge Prinz, gerade noch heiter und ausgelassen, geriet in Wut und versetzte den Hunden Fußtritte. Einer versuchte, ihn zu beißen, doch da packte er ihn am Schwanz, riss ihn hoch und zog mit einem raschen Griff den Dolch aus dem Gürtel. Ein Schnitt – und |42| der Schwanz des Tiers war durchtrennt. Der Hund fiel zu Boden und floh, jaulend, eine blutige Spur hinterlassend. Das Stück Hundeschwanz, das er in der Hand hielt, schleuderte Heinrich hinüber auf den Tisch, wo es das Brett traf und alle Spielsteine durcheinander warf. Die beiden anderen Hunde vertrieb er mit Fußtritten. Er riss einer der Stiftsdamen das Tuch, an dem sie arbeitete, aus den Fingern und säuberte damit seinen Dolch und die Hände. Den Fuchs warf er wieder über die Schulter.
„Tut mir leid, Mutter“, sagte er. „Wir wollten früher hier sein, wegen der Messe. Aber die Jagd war gut und so ging es nicht.“
„Dass du nur heil zurück bist, Heinrich“, sagte die hohe Frau Mathilde. „Ich mache mir jedes Mal große Sorgen.“
„Das war doch unnötig, Mutter. Na, ich wollte dir nur melden, dass wir da sind und dass es mir gut geht.“
„Danke, mein Sohn.“
Er machte kehrt, grinste höhnisch zu den Männern am Tisch hinüber und wollte hinausgehen.
Aber Thankmar stand auf und vertrat ihm den Weg.
„Wenn der Hund eingeht, wirst du ein Bußgeld für ihn zahlen. Und nicht wenig!“
„Mach dir nicht in die Hose, davon geht er nicht ein.“
„Ich hab deine dummen Späße satt! Deine Bosheit! Deine Gemeinheiten! Verschwinde von hier! Verzieh dich auf eine deiner Burgen im Westen! Treib dort nach Herzenslust deinen grausamen Unfug! Hier ist kein Platz mehr für dich!“
„Hier ist kein Platz mehr für mich? Hier – wo ich zu Hause bin?“ Sie starrten sich an und im nächsten Augenblick brach Heinrich in ein Gelächter aus. „Du willst mich aus dieser Burg vertreiben?“, stieß er unter Lachen hervor. „Meiner eigenen Burg?“
„Sie gehört mir!“
„Was? Dir gehört sie?“
„Sie ist mein Erbe und Eigentum!“
„Davon war mir bis heute nichts bekannt.“
„So erfährst du es
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