Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
jetzt!“
Der stechende Blick erschreckte Heinrich. Das Lachen blieb ihm im Halse stecken. Hilfe suchend sah er sich nach seiner Mutter um.
„Hast du gehört, was er behauptet? Die Merseburg …“
Die Königinmutter hatte den Streit ihres Sohnes und ihres Stiefsohnes mit aufmerksamer Miene verfolgt.
|43| „Ich bitte dich, Tammo“, sagte sie tadelnd, „an einem solchen Tag, an dem wir alle von Trauer erfüllt sind, nicht Streit anzufangen. Warum tust du das? Du weißt doch, es wird geschehen, was dein Vater bestimmt hat.“
„Ich weiß nur“, erwiderte Thankmar scharf, „was mein Vater
nicht
wollte: mir Schaden zufügen! Solange Graf Siegfried lebte, hatte er die Burg und das dazugehörige Land zum Nießbrauch. Nun ist Graf Siegfried tot und der wahre Besitzer tritt in seine Rechte ein.“
„Und der wahre Besitzer … der willst du sein?“, rief Heinrich, abermals auflachend.
„Ich trete das Erbe meiner Mutter an!“
„Deshalb also treibst du dich hier dauernd herum. Seit Monaten schon! Hast wohl sehnsüchtig darauf gewartet, dass der Alte endlich abkratzte.“
„Ich bin seit Monaten hier, weil er krank war und jemanden brauchte, der ihm half, seine Pflichten zu erfüllen.“
„Dazu brauchte er dich nicht – dazu hatte er mich!“
„An dir hatte er nur zusätzlich eine Last auf dem Buckel! Wie oft hat er sich über dich beklagt! Durfte er dir diese Burg anvertrauen, hart an der Grenze, jederzeit in Gefahr, von Magyaren oder Wenden umstellt und belagert zu werden? Ich habe hier das Reich und mein Erbe verteidigt – und das werde ich auch in Zukunft tun. Deshalb sage ich dir: Verschwinde – und störe mich dabei nicht länger!“
Die Königinmutter erhob sich würdevoll.
„Ich bitte dich noch einmal, Tammo, deine Streitsucht zu zähmen! Solange Graf Siegfried lebte, hattest du dich zurückgehalten und keine Forderungen gestellt.“
„So ist es, Frau Mutter, die Ihr nicht meine Mutter seid!“, erwiderte Thankmar. „Ich hielt mich zurück, weil er es wünschte. Aber er riet mir auch dringend, nach seinem Tode nicht zu warten und unverzüglich meine Ansprüche geltend zu machen. Er wünschte, dass der Markgraf an der Elbe und Saale der Enkel und einzige Nachfahr des ruhmreichen Grafen Erwin sei!“
„Der Alte hatte eine Wut auf mich und steckte immer mit Tammo zusammen!“, warf Heinrich ein. „Das war eine Verschwörung, sie wollten mich loswerden.“
„Sei endlich still, du Giftpilz!“, schrie Thankmar.
„Tammo!“, herrschte die Königinmutter den Stiefsohn an. „Unverträglich warst du schon immer, aber jetzt gehst du zu weit! Wir |44| haben den Grafen Siegfried mit allen Ehren begraben, doch was seine Nachfolge betrifft, so geht es weder nach seinen Wünschen noch seinen Empfehlungen. Dafür ist allein der vom Herrn im Himmel gelenkte Wille der Könige zuständig … des verstorbenen wie des gegenwärtigen. Noch zu Lebzeiten meines Gemahls wurden Entscheidungen getroffen, die von meinem Sohn Otto gebilligt wurden, also weiterhin gelten.“
„Was für Entscheidungen?“, rief Thankmar. „Mich zu enterben und …“
„Was im Einzelnen beschlossen wurde, weiß ich nicht. Ich habe mich damals nicht eingemischt. Ich weiß nur, dass nichts geändert werden sollte, solange Graf Siegfried am Leben war. Wir werden aber in Kürze alles erfahren. Da die Bestimmungen jetzt in Kraft treten müssen, wird uns der König davon in Kenntnis setzen. Bis dahin empfehle ich Geduld – und Beherrschung!“
„Ihr wisst genau, was beschlossen wurde“, rief Thankmar, „und wollt mich nur hinhalten! Damit ich nichts unternehme!“
„Sag ihm doch, Mutter, dass ich Herzog werde“, rief Heinrich, „und dass dies alles mein Eigengut sein wird!“
„Das werden wir sehen!“, schrie Thankmar.
Inzwischen waren einige der jungen Männer hereingekommen, die zu Heinrichs Gefolge gehörten. Ein großer Blonder mit Hiebnarben im Gesicht, der sich Maincia nannte, stellte sich breitbeinig, die Hand am Schwertknauf, neben seinen Gefolgsherrn. Der struppige, einem Räuber und Wegelagerer ähnelnde Thiadbold, wie Maincia ein berüchtigter Händelsucher, pflanzte sich neben den beiden auf, zog den Wehrgurt straff und warf herausfordernde Blicke um sich. Auf der anderen Seite rückten der bärtige Thiadrich und seine drei jüngeren Vettern Iglolf, Heriger und Roudhart in drohender Haltung an die Seite Thankmars. Nach dem heftigen Wortwechsel ihrer Gefolgsherren waren die jungen Männer gereizt und
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