Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Heinrichs geschwächt. Das wäre für sie die große Gelegenheit. Die ersten Proben von dem, was uns in nächster Zeit bevorsteht, haben wir schon. Ich weiß nicht, was vorher beschlossen wurde. Vielleicht etwas anderes. Der König ist jedenfalls der Meinung, dass wir die Grenze dicht machen und ihnen wieder Respekt beibringen müssen. Und dass ich dafür der richtige Mann bin.“
|47| „Der richtige Mann bin ich!“, sagte Thankmar in eiskaltem Ton, wenn auch mit bebenden Lippen. „Dies ist mein Platz – und er wird ihn mir einräumen oder …“
Er vollendete den Satz nicht, aber Heinrich ergänzte hämisch: „… oder du wirst gegen ihn zu Felde ziehen?“
„Warte nur, Bürschlein! Warte nur! Auch wir beide haben noch etwas abzumachen!“
Thankmar schüttelte die Faust gegen Heinrich und gab dann seinen Männern ein Zeichen, ihm zu folgen. Rasch gingen alle hinaus.
Die Königinmutter ließ sich mit bekümmerter Miene auf ihrem Armstuhl nieder.
„Wenn mein Gemahl geahnt hätte, was mein Sohn Otto anrichtet“, sagte sie seufzend zu den beiden Geistlichen, „hätte er sich in Erfurt anders entschieden. Warum hat er nicht auf mich gehört!“
6
Ein Jahr nach seiner Krönung in Aachen, im September 937, berief Otto eine Reichsversammlung nach Magdeburg, in die Stadt an der Elbe, den Ort, den er und Königin Edgith bevorzugten und wo sie viel Zeit ihrer ersten glücklichen Ehejahre verbracht hatten.
Seit weit mehr als hundert Jahren war die
civitas
Magdeburg ein blühendes Gemeinwesen und bedeutender Handelsplatz. Zum ersten Mal bezeugte ein Kapitular Karls des Großen von 805, das den Waffenhandel mit Slawen und Awaren verbot, die Existenz des Ortes, der auch jetzt, im zehnten Jahrhundert, noch den Namen Magadoburg, die „große Burg“, führte. Am Mittellauf der Elbe, wo sich der Fluss in mehrere Arme teilte und von Sandwerdern durchsetzt war, die leicht überquert werden konnten, war der Hafen angelegt und auf einem felsigen Hügel, der sich über dem stärksten, dem westlichsten Flussarm erhob, die Burg erbaut worden. Ringsum siedelten sich Händler, Handwerker, Fischer und Dienstleute an, hier im Zentrum des abendländisch-slawischen Fernhandels trafen sich die Kaufmannszüge von Ost und West, lebhaftes Marktgetriebe herrschte von den ersten Tagen des Frühjahrs bis in die letzten des Herbstes.
|48| Nicht immer freilich bot sich vom Burghügel aus nur das heitere Bild der Schiffe, Boote und Flöße, auf denen Waren den Fluss hinauf und hinab und von Ufer zu Ufer gebracht wurden. König Heinrich hatte hier seine Scharen gesammelt, um mit ihnen gegen die Wenden zu ziehen und um sie tauglich zu machen zum Entscheidungskampf gegen den Hauptfeind, die räuberischen Magyaren. Damals, vor neun Jahren, war auch sein sechzehnjähriger Sohn Otto unter denen gewesen, die hier im Spätherbst zum Winterfeldzug und zur Eroberung der Hevellerfestung, der Brandenburg, aufbrachen.
Otto gefiel es in Magdeburg und ein paar Monate später kam er wieder, doch diesmal nicht in eiserner Rüstung, mit Schwert und Lanze bewehrt. Er kam im Sommer in die pulsierende Ortschaft mit einer Braut an der Seite, der angelsächsischen Prinzessin. Auch Edgith fühlte sich hier gleich wohl. Das bunte Gewimmel auf der Elbe und an ihren Ufern erinnerte sie an die heimische Insel, die Stadt Lundenburgh, die Themse, das Meer. So war sie überglücklich, als sie zur Hochzeit Magdeburg als
dos
empfing, als Morgengabe und Witwensitz für den Fall, dass sie ihren Gemahl überlebte. Otto, obwohl noch längst nicht König, trug fortan Sorge dafür, dass die Stadt seiner guten, sanften Ehefrau, die der sonst dem weiblichen Geschlecht gegenüber eher Zurückhaltende und Unaufmerksame aufrichtig liebte, mehr und mehr an Schönheit und Bedeutung gewann. Die Pfalz auf dem felsigen Hügel wurde erweitert und ausgebaut, ein prächtiges Palatium mit großer Halle, mit Säulen und Bogenfenstern wuchs am Rande des Felsens empor, umgeben von Gästehäusern und Wirtschaftsgebäuden, für künftige Aufenthalte des Hofes und große Empfänge eingerichtet. Ein Kirchlein, das später einer stattlichen Kathedrale Platz machen würde, war für die fromme Edgith, die viel Zeit in tiefer Versenkung vor dem Altar verbrachte, mit wenigen Schritten erreichbar. Und wenn sie am Fenster ihres Wohngemachs im oberen Stockwerk des Herrenhauses über einer Handarbeit saß, konnte sie, hob sie den Kopf, das bezaubernde Panorama des vielarmigen Stroms überblicken, die
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