Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
endlosen grünen Weiten der Elbwiesen, bis zu dem dunklen Waldstreifen, der im Osten den Horizont bildete.
Sein Vater Heinrich liebte den Harz und seine Umgebung, besonders die Pfalzen Quedlinburg und Memleben, doch Otto wusste schon bald, dass Magdeburg, sollte er König werden, seine bevorzugte |49| Residenz sein würde. Das Ostfränkische Reich hatte keine Hauptstadt, der vielköpfige Hof zog von Pfalz zu Pfalz, weil nur auf den großen Gütern, im Besitz der Krone, für einige Zeit die Versorgung gesichert war. Wann immer sein Vater das Harzgebiet aufsuchte, ließ Otto sich Urlaub geben und kam nach Magdeburg, meist in Begleitung der Königin und ihrer beiden Kinder, die kurz nacheinander geboren wurden. Hier machte das Paar sich über den Fortgang der Arbeiten auf den zahlreichen Baustellen kundig und Otto prüfte mit seinem Kämmerer und den örtlichen Honoratioren, ob die
civitas
mit ihren üppigen Zolleinnahmen und die über dreißig Weiler, die dem Burgbann unterstanden und deren Bewohner zu Burgwerk verpflichtet waren, später imstande sein würden, die Lasten zu tragen. Das Ergebnis war günstig und so zögerte Otto als König nicht, hierher seinen ersten Hoftag einzuberufen und dazu die Großen des Reiches mit ihren Gefolgschaften einzuladen. Noch waren nicht alle Bauten fertig, nur die vornehmsten Gäste konnten standesgemäß untergebracht werden. Die Mehrzahl derer, die heranzogen, musste in Zelten und Hütten auf den Elbwiesen lagern. Doch bekam man schon jetzt einen Eindruck vom Glanz und von der Größe dieses Ortes im äußersten Osten des Reiches, den Chronisten und Annalisten bald als
„theutonum nova metropolis“
rühmen würden.
Höhepunkt und Abschluss der Reichsversammlung sollte ein Ereignis werden, mit dem König Otto Magdeburg auch zu einem religiösen Zentrum erheben wollte. Auf dem Burghügel sollte ein Kloster entstehen – unter dem Patronat des heiligen Mauritius. Der kriegerische Heilige wurde gewählt, weil Otto das neue Kloster auch als Vorposten zur Bekehrung der Heidenstämme jenseits der Elbe verstand, einem Werk, das nicht nur mit friedlichen Mitteln gelingen konnte. Die ersten zwölf Mönche, aus der Reichsabtei St. Maximin in Trier kommend, trafen ein und bezogen ihre bescheidene Unterkunft. Es waren sangesfrohe Brüder mit volltönenden Stimmen, die nicht müde wurden, für das große Ereignis Gesänge des heiligen Gregorius zu proben. Stundenlang lauschte Königin Edgith an ihrem Fenster den feierlichen, getragenen Tönen, in froher Erwartung der Gründungszeremonie, die am Vorabend des Gedenktages für den Heiligen, am 21. September, stattfinden sollte.
Zuvor jedoch, auf dem Hoftag, bekam ein Streitfall so viel Raum und Gewicht, dass alles andere darüber fast in Vergessenheit geriet. |50| Schon einige Tage vor der Eröffnung der Reichsversammlung hatte Prinz Heinrich, der kurz zuvor erst, von seinen Besitzungen im westlichen Sachsen kommend, in Magdeburg eingetroffen war, den König mit einer an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt höchst unerwünschten Nachricht überfallen. Otto verließ gerade nach einem Gottesdienst mit seiner Frau Edgith und seiner Mutter Mathilde die Kirche, als Heinrich herangeloppiert kam, vom Pferd sprang, den dreien entgegenlief und schrie:
„Ein Aufruhr! Mein Bruder, dein Königreich wankt! Der Franke greift Sachsen an! Die erste Burg ist schon gefallen!“
Die Königin riss erschrocken die Augen auf. Frau Mathilde griff sich mit großer Betroffenheitsgeste ans Herz, warf ihrem Ältesten einen flammenden Blick zu und sagte: „Da haben wir es! So weit ist es also gekommen.“ Und an ihren jüngeren Sohn gewandt: „Was sagst du, mein Heinrich? Ein Aufruhr? Das ist ja grauenvoll! Entsetzlich! Erzähle ihm alles. Erzähle, erzähle!“
Otto drückte den Kopf zwischen die massigen Schultern, warf seiner Mutter aus den Augenwinkeln einen argwöhnischen Blick zu und knurrte den Bruder an: „Nun? Was ist los?“
„Ich war unten im Lager“, berichtete der Lockenkopf übersprudelnd. „Bruning ist heute Morgen angekommen. Er sieht aus wie der leibhaftige Tod, hat sich mit letzter Not retten können. Seine Gefolgschaft besteht nur noch aus fünf Männern, die sich zwei Pferde teilen.“
„Bruning?“, fragte der König. „Meinst du den aus dem Hessengau?“
„Ja, den, meinen Nachbarn. Ich war vor kurzem noch mit ihm auf der Jagd. Danach feierten wir in seiner Burg Hellmern. Die ist jetzt nur noch ein Trümmerhaufen. Und alles, was
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