Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
das Gespräch auf ihr Anliegen. Sie hatten sich darauf verständigt, den Herzog als anfangs – infolge der Magdeburger Ereignisse – rebellisch, zuletzt aber längst wieder königstreu darzustellen. Dazu erfanden sie lange Gespräche, die sie mit ihm über seine Wandlung geführt haben wollten. Der alte Kirchenfürst und der junge Prinz überboten einander an Heuchelei.
Sie erreichten immerhin, dass Otto ihnen zuhörte und ihnen nicht mehr jeden Augenblick ungehalten ins Wort fiel. Allerdings war seine Aufmerksamkeit meistens abgelenkt, weil auf die Pferde, die Waffen und das Schuhwerk der Abrückenden gerichtet. Ab und zu warf er eine Bemerkung hin, der sie entnehmen konnten, dass er einer Versöhnung mit Eberhard nicht mehr ganz abhold war. Das ermutigte sie und sie verstärkten ihre Bemühungen. Es war dann aber der Herzog selbst, der den Sinneswandel des Königs vollendete.
Es begann gerade wieder zu regnen, als er plötzlich an der Spitze von dreihundert gepanzerten Reitern erschien. Das erregte zunächst ein allgemeines Erschrecken und alles schrie Alarm und griff zu den Waffen. Es waren nur noch zweihundert Kämpfer im Lager, die noch nicht marschbereite Nachhut, den Ankömmlingen, wären sie Feinde gewesen, klar unterlegen. Doch Otto, der unbewaffnet |170| war, trat den Franken kaltblütig entgegen – und da stieg Herzog Eberhard auch schon vom Pferd, lief mit kurzen Schritten, den Helm in der Hand, auf ihn zu und ließ sich drei Schritte vor ihm auf die Knie fallen. Die dreihundert Franken und zweihundert Sachsen umringten die beiden und hörten die Worte, die der Kniende hervorstieß.
„Mein König, verzeiht mir! Ich fehlte, ich tat Euch Unrecht an. Gott wandte sich von mir ab, ich hörte auf die Stimme des Teufels. Doch ich bereue meine Verirrung … aus tiefstem Herzen bereue ich! Hier liege ich vor Euch in Demut, Herr – verzeiht mir, nehmt mich und die Meinen in Gnaden wieder auf! Ich selbst und was mir gehört und was mir untertan ist … alles soll Euch zu Willen sein! Befehlt, was mit uns geschehen soll – wir erwarten Euer gerechtes Urteil. Wie es auch ausfällt … wir werden nicht klagen. Doch erfüllt unsere Hoffnung. Landauf, landab werden Eure Großmut und Eure Milde gepriesen. Beides versagt uns nicht. Lasst meine Reue Euer edles Herz rühren!“
Der Herzog brach bei dieser zweiten
deditio
in Tränen aus und stieß dabei mehrmals seine Stirn auf den Grasboden. Der König trat auf ihn zu, beugte sich zu ihm hinab, fasste ihn bei den Schultern und nötigte ihn, sich zu erheben. Eine silberne Strähne zurückwerfend, seufzte Eberhard dankbar und richtete sich auf. Otto musste sich etwas recken, um den Friedenskuss auf seine feuchte Wange zu drücken, an der Gras und Erdkrumen klebten.
„Es sei“, sagte er, „ich verzeihe Euch. Erfüllt in Zukunft treu und zuverlässig die Pflichten, die Euch von Gott und Euerm König auferlegt sind.“
Ein Gefolgsmann des Herzogs brüllte: „Heil König Otto!“
Der mehrhundertköpfige Chor der Franken und Sachsen wiederholte den Ruf.
Der Herzog verneigte sich noch einmal tief. Als er den Kopf hob, traf sein Blick den des hoch gewachsenen, schmalen Jünglings, der hinter dem König stand, ihn überragend.
Heinrich lächelte zufrieden.
Otto war weniger erfreut über diese Lösung.
Gewiss, es erfüllte ihn mit Genugtuung, den stolzen Herzog der Franken zu seinen Füßen zu sehen. Das erschien ihm wie eine späte Vergeltung für die grausamen Stiefeltritte, mit denen die |171| Franken des „großen“ Karl einst die Sachsen niedergeworfen und wahlweise ins Taufwasser oder zum Hinrichtungsplatz getrieben hatten. In diesem Augenblick aber die Hoffnung zu nähren, es werde nun dauerhaft Frieden zwischen den beiden wichtigsten Stämmen des Ostfränkischen Reiches und ihren Anführern herrschen, war Otto zu scharfsinnig, zu erfahren, zu misstrauisch. Er hatte gleich seine Zweifel. So eindrucksvoll für die Zuschauer und anscheinend tief zerknirscht Herzog Eberhard diese Unterwerfung vollzogen hatte, so war sie dem König doch wie eine Überrumpelung erschienen, durch die er genötigt wurde, die Verzeihung zu gewähren. Otto wusste zwar nicht, dass alles Trug war, doch glaubte er auch nicht an die Aufrichtigkeit des jammervollen Auftritts. Im Allgemeinen war es üblich, miteinander zu reden, zu verhandeln und manchmal zu feilschen, bevor eine
deditio
öffentlich in Szene gesetzt wurde. Eine Untersuchung fand statt und die Verzeihung wurde nur
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