Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
geräumigen Holzturms. Eine Treppe führte herauf, keine Tür schützte vor dem Gegröle der Betrunkenen, dem Kreischen der Mägde, dem Fiedeln und Zupfen der Musikanten, dem Hundegebell, dem Waffengeklirr. Hadalt hatte sich beschwert, war aber abgewiesen worden, weil angeblich nebenan im Herrenhaus nur Platz für die große Familie des Herzogs und dessen nächste Vertrauten war.
Anfangs hatte er täglich dort vorgesprochen, war auch schließlich vom Herzog empfangen worden, jedoch – wie ein paar Monate vorher Bischof Bernhard – mit kalter Freundlichkeit abgespeist worden. Er werde noch ausführlicher Antwort erhalten, hatte der Herzog gesagt, doch brauche das Zeit. Trotz allen Bemühens war Hadalt dann nicht mehr bis zu ihm vorgedrungen und vor zehn Tagen wurde ihm plötzlich mitgeteilt, Herzog Giselbert habe dringend eine Reise antreten müssen. Es war dann nicht schwer herauszufinden, wohin diese plötzliche Reise den Herzog von Lothringen führte. Ein Mann der Burgbesatzung, der den Gesandten König Ottos nicht kannte, gab ihm unbefangen Auskunft: Der Herr begebe sich nach Laon zu Ludwig, dem König der Westfranken.
Bei der Herzogin Gerberga hatte auch Hadalt – wie der Bischof – bis jetzt nicht Zutritt erhalten. Er hatte sie noch nicht einmal gesehen. Immer hieß es, dass sie unpässlich sei und an einer Erkältung und an Fieber darnieder läge. Dies mochte infolge des hässlichen Wetters nicht nur ein Vorwand sein, obwohl der Kämmerer die Tochter seines früheren Herrn und Schwester des |174| jetzigen als ein geradezu ungewöhnlich gesundes, kraftstrotzendes Mädchen in Erinnerung hatte, das es im körperlichen Wettstreit mit jedem männlichen Altersgenossen aufnehmen konnte. Aber inzwischen hatte sie vier Kinder geboren und die langen winterlichen Aufenthalte in zugigen Burgen wie dieser konnten die stärkste Natur beschädigen. Es wunderte ihn allerdings, dass er fast jedes Mal, wenn er bei gelegentlich heiterem Himmel im Hof der Festung spazierenging, vornehme Besucher kommen und gehen sah, Prälaten und geschmückte Damen darunter. Und mehrmals hatte er aus dem Herrenhaus lebhaftes Stimmengewirr, Musik und Gelächter gehört.
Gerade von einer Begegnung mit der Herzogin hatte sich Hadalt viel versprochen. „Versuche unbedingt, mit meiner Schwester unter vier Augen zu reden!“, hatte ihm König Otto beim Abschied auf der Frankenburg Laer eingeschärft. „Versuche herauszubekommen, was sie vorhat!“ Er hatte Grund, dies wissen zu wollen. Längst war es kein Geheimnis mehr, dass die Fünfundzwanzigjährige, eine stolze Schönheit, auf ihren fast vierzigjährigen, in seiner äußeren Erscheinung eher kümmerlichen Gemahl einen ungewöhnlich hohen Einfluss hatte. In den Gesprächen unten im Mannschaftsraum, die Hadalt mehr oder weniger unabsichtlich mithörte, war dies oft Gegenstand deftiger Witzeleien. Es hatte auch einmal jemand angedeutet, die Herzogin könnte während der Reise des Herzogs einen Liebhaber zur Burg heraufkommen lassen. Ein anderer hatte darauf gesagt, der müsse vielleicht nicht erst heraufkommen, sondern befände sich schon unter ihnen. Doch da war ihnen ein Dritter streng ins Wort gefallen und hatte ihnen geraten, das Maul zu halten und sich nicht um ihre Hälse zu reden.
Hadalt hüllte sich fester in seinen Pelz und obwohl der rundliche, wortgewandte und vielsprachig gebildete Sachse sich sonst gern an Gesprächen beteiligte und auf Reisen bereitwillig neue Bekanntschaften schloss, war ihm an diesem Tag nicht nur des Wetters wegen die Stimmung verdorben. Ein paar Stunden zuvor hatte er erfahren, dass Herzog Giselbert zurück war. Gleich hatte er sich im Herrenhaus gemeldet. Doch von gekreuzten Lanzen war er aufgehalten worden und erst nachdem er mehrmals heftig „im Namen des Königs, als des Königs Gesandter“ Einlass begehrt hatte, war einer der zahlreichen Würdenträger des herzoglichen Haushalts erschienen und hatte ihn mit der dürftigen Erklärung abgewiesen, |175| der Herzog sei nach den Anstrengungen der Reise zu erschöpft, um gleich zu empfangen. Als Hadalt sich dann aber nach einem wirkungslosen Protest abgewandt hatte, waren mehrere große Herren mit glänzenden Gefolge in den Burghof eingeritten und gleich darauf im Herrenhaus verschwunden. Man führte die Pferde in die Ställe und die Herren kamen nicht wieder heraus.
Die Rückkehr des Herzogs aus Laon war auch das Thema des Gesprächs dreier Männer am Tisch, und der schweigsame, verdrießliche Zuhörer
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