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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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in der Ecke wurde allmählich aufmerksam. Da seine Schlafgenossen alle paar Tage wechselten, wusste niemand, wer er war, und wenn er gefragt wurde, gab er sich – teils aus Scham über die schlechte Behandlung, teils aus Vorsicht wegen der sachsenfeindlichen Stimmung in der Gefolgschaft – als Pächter herzoglicher Güter aus, der wegen rückständiger Abgaben verhandeln wollte. So hielt es niemand für nötig, in seiner Gegenwart Vorsicht walten zu lassen. Das Wort führte einer, der mit Herzog Giselbert heimgekehrt war, ein Höfling mit langem Haar und Ziegenbärtchen, der sich Raoul nannte und ein entfernter Verwandter des Herzogs sein wollte.
    „Also dieser König Ludwig … ein Prachtkerl!“, schwärmte er. „Kaum waren wir angekommen, lud er uns schon zur Jagd ein. Und wie liebenswürdig und leutselig er ist … wenn auch noch etwas schüchtern. Ich durfte ihm zweimal helfen, als er etwas ausdrücken wollte, wofür ihm die Worte fehlten. Er ist ja kaum achtzehn Jahre alt und hat bis vor zwei Jahren in England gelebt, der Ärmste, deshalb hapert es bei ihm noch mit der Sprache. Einige nennen ihn ‚Ludwig den Überseeischen‘.“
    „Er hätte besser daran getan, in England zu bleiben“, bemerkte ein bulliger Mann mit grauem Borstenhaar, der zur Burgbesatzung gehörte. „Hier passiert ihm vielleicht das Gleiche wie seinem Vater.“
    „Was passierte dem denn?“, fragte der Dritte am Tisch, ein vornehm gekleideter lombardischer Pilger. „Wurde er tatsächlich umgebracht, wie man erzählt?“
    „So genau weiß man das nicht“, antwortete der Borstenhaarige. „König Karl starb im Kerker des Grafen Heribert von Vermandois, in Péronne, er ging ein wie ein Hund. Vielleicht hatte man nur vergessen, ihn zu füttern.“
    „Dass einem König so etwas zustößt … im eigenen Land.“
    |176| „Deshalb nennen ihn manche auch Karl den Einfältigen. Erst ließ sich der schlappe Kerl vom Thron stoßen, dann in eine Falle locken und gefangen nehmen. Im eigenen Land, sagt Ihr? Was ist bei den Westfranken Land des Königs? Zwischen der Seine und der Loire herrscht Hugo Magnus, der
dux Francorum
, der gebietet in Paris, Orléans, Blois, Chartres, Tours. Und diesseits der Seine hat sich die besten Stücke dieser Graf Heribert von Vermandois angeeignet … Amiens, Meaux, St. Quentin, Soissons … Was dem König noch gehört, seine Krondomänen … das nimmt sich aus wie ein paar Kuhfladen auf der Wiese. Wenn er reist, muss er von einem Fladen zum anderen schwirren und wenn er zwischendurch landet, wird es gefährlich für ihn. Dann könnten ihn die Frösche schnappen.“
    Der Borstenhaarige lachte dröhnend.
    „Jetzt redest du Unsinn, Gondebaud!“, tadelte ihn Raoul. „Ist König Ludwig vielleicht eine Fliege? Er gebietet noch immer über die alten berühmten Pfalzen – Attigny, Compiegne, Corbeny, Ponthion … und wenn er von einer zur anderen will, reist er auf sicheren Wegen. Vor allem hat er Reims und Laon. Die Burg von Laon konnte er gerade zurückgewinnen, er lud uns ein, sie zu besichtigen. Eine gewaltige, machtvolle Festung!“
    „ … die sie ihm bald wieder abnehmen werden“, spottete Gondebaud. „Und dann landet auch er im Kerker des Grafen Heribert. Mitsamt seiner Mutter, der Angelsächsin. Die hatten der Graf und Hugo Magnus beim letzten Mal übersehen.“
    „Sie hatten sie übersehen?“, wunderte sich der Lombarde.
    „Ja, und das werden sie bereut haben. Denn als sie König Karl hinter Gittern hatten, floh sie mit ihrem Sohn, dem zweijährigen Ludwig, an die Küste und mit dem nächsten Schiff ging es ab nach Wessex, zu ihrem Bruder, König Aethelstan. Das ist der, der überall auf dem Festland seine Schwestern verstreut. König Otto hat eine, den Bruder des Königs Rudolf soll eine andere geheiratet haben. Und Hugo Magnus hatte auch eine abbekommen, die ist aber kürzlich gestorben, wie man hört. Jetzt hat er die jüngere Schwester König Ottos geheiratet. Das ist ein großer, mächtiger Herr, dieser Hugo Magnus. Der will bestimmt eines Tages selbst König der Westfranken werden.“
    „Keineswegs!“, widersprach Raoul. „Einen Gierschlund wie Hugo Magnus gibt es nicht zweimal, der ist nur zur Welt gekommen, um zu raffen: Grafschaften, Güter, Burgen, Abteien. Aber König werden |177| … das will er nicht! Wozu auch? Als König hätte er viel Ärger und müsste seine vielen Grafschaften und Abteien anderen überlassen, die sie ausbeuten würden. So schickte er lieber nach England, ließ

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