Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
Gegend und reiste umher von Burg zu Burg, mitten im Winter. Wenn es friert und schneit und es nichts zu tun gibt, ist gut Reden und Klagen und Heimlichtun. Hier wird ein Sohn betrauert, der im Kampf mit den Wenden gefallen ist … woanders darben sie, weil die verdammten Filzhüte wieder mal ihren Zins nicht bezahlt haben. Überhaupt … das harte Leben im Grenzgebiet: viele Pflichten, wenig Gewinn. Und wenn dann plötzlich ein Gast kommt, ein hoher Gast, und aufmerksam zuhört und ihnen verspricht, dass alles besser wird, wenn sie nur mittun wollen, und ihnen Geschenke macht …“
„Geschenke?“
„Diesem ein Gütchen, jenem ein Wäldchen … dem Dritten Dörfer und Weiler mit ein paar hundert Unfreien …“
„Wann und wo hat er das verschenkt?“
„Nun, auf der Burg Saalfeld, auf diesem Fest vor zwei Wochen. Großzügig hat er alles verteilt. Dazu viel Gold und Silber für die Frauen. Es waren auch noch andere dabei, die nicht zu der Schwureinung gehören, Sachsen und Thüringer. Alle wurden bedacht, keiner ging leer aus. Und dann feierten sie ihn, als sei er schon König.“
Otto blieb vor dem Markgrafen stehen und sah tief betroffen zu ihm auf. Ein kalter Wind ließ ihn erschauern und blähte seinen Mantel.
„Als sei er schon König?“
„Es wurden ‚Heil‘-Rufe laut auf König Heinrich den Zweiten, den großen Sohn des großen Vaters. Er bedankte sich gnädig, konnte es nicht oft genug hören. Einige schrien besonders laut.“
„Du kennst die Namen?“
„Es sind viele, sehr viele. Folmar, Schweikert, Walram, Reting, Immed, Wikbert, Uhtrad …“
|192| „Uhtrad? Ist das der …?“
„Ja, der ist es. Tammos Mann, den du auf der Eresburg begnadigt hast. Er will es noch einmal versuchen, diesmal nicht mit dem Bastard, sondern mit dem, der das Heil und Gottes Segen hat. Das jedenfalls habe er, erzählt ihnen Heinrich, so oft sie es hören wollen.“
„Und Giselbert, sagst du …?“
„Soll dabei sein. Das heißt, sie hoffen, er schließt sich an.“
„Ich warte noch immer darauf, dass er vor mir erscheint und sich rechtfertigt. Hadalt hatte ihn dazu aufgefordert.“
„Du wirst wohl vergebens warten. Dein Bruder hat denen auf der Burg Saalfeld versprochen, mit Giselbert sei fest zu rechnen. Aber du kennst unsere sächsischen Stammesbrüder, sie sind vorsichtig und misstrauisch. Wollen nicht mit dir und mir brechen, bevor sie sicher sein können, dass sie für ihre Schurkerei nicht den Kopf verlieren. Heinrich soll ihnen erst den Beweis dafür bringen, dass die Lothringer, diese Weichlinge, Ernst machen.“
„Und wie soll das geschehen?“
„Giselbert soll ein Heer sammeln und über den Rhein führen. Sobald sie sichere Zeichen haben, dass die Lothringer anrücken, wollen sie ihnen entgegen ziehen, sich mit ihnen unter Heinrichs und Giselberts Führung vereinigen, und dann …“
„Und dann?“
„Und dann stößt vielleicht auch noch ein Dritter zu ihnen.“
„Wer soll das sein?“
„Du ahnst es nicht?“
„Nein.“
„Es waren Boten unterwegs. Den ganzen Winter über. Nicht nur zwischen Heinrich und Giselbert. Nicht nur zwischen den Verschwörern von Saalfeld. Einige gingen auch nach Hildesheim.“
„Zu Eberhard?“, rief der König. „Vor drei Wochen befahl ich, ihn aus der Haft zu entlassen.“
„Und nun ist er wieder Herzog von Franken“, sagte der rotbärtige Hüne ungerührt und sah Otto unter den halb gesenkten, schweren Lidern vorwurfsvoll an. „Nun wird er sich wohl auf seine Art der königlichen Milde erfreuen, die er für Treubruch und Verrat erfuhr.“
„Ich ahnte es“, murmelte Otto. „Ich musste es wissen …“
|193| 30
Drei Wochen später saß der König zu Pferde vor dem weit offenen Tor einer Burg und blickte zornig herab auf den schmalen Glatzkopf im Sachsenkittel, der demütig vor ihm stand. Die Riesengestalt des Markgrafen Gero an der Seite des königlichen Reiters schüchterte den Mann vollends ein. Die Angst ließ seine kugeligen Augen noch stärker hervortreten, er presste die Fäuste zusammen, um das Zittern seiner Hände zu unterdrücken, und in Bächen rann ihm der Schweiß von der Stirn. Dabei war er bewaffnet, ein langes Schwert hing an seinem Gürtel, doch schien es ein überflüssiger, unbrauchbarer, rein zufällig dorthin geratener Gegenstand zu sein, mit dem er nichts anzufangen wusste. Der Mann hieß Agina und war der Herr der Burg Dortmund.
Hinter ihm war ein Häuflein sächsischer Krieger angetreten, etwa fünfundzwanzig
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