Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
entschieden zu weit gegangen. Immer wieder hatte der Streit sich auf einen Augenblick zugespitzt, in dem Giselbert in ein Zimmer getreten war und dort seine Gemahlin mit dem achtzehnjährigen König überrascht hatte. Die beiden waren auseinander gefahren und er glaubte, noch gesehen zu haben, dass sie sich geküsst hatten. Die Herzogin hatte das empört abgestritten. In einem vertraulichen Gespräch mit dem König hätte sie retten wollen, was nach den bereits gescheiterten Verhandlungen zu retten war. Nun war ihnen aber erst recht nichts anderes übrig geblieben als abzureisen.
|198| Erst nachdem sie einander zwei Tage lang beleidigt mit Schweigen gestraft hatten, suchte Giselbert an Bord des Schiffes, das sie die Maas hinab trug, eine Gelegenheit, das unterbrochene Gespräch wieder aufzunehmen. Er spazierte auf dem Oberdeck umher und trat schließlich zu seiner Gemahlin, die auf einem Klappstuhl am Bug saß, die Frühlingssonne genoss und ihr offenes Haar dem Winde darbot. Der Herzog war in versöhnlicher Stimmung.
Die einleitende Entschuldigung für seinen ungerechtfertigten Zweifel an ihrer ehelichen Treue wurde noch gnädig aufgenommen. Als er jedoch auf einen Plan zu sprechen kam, den er seit einiger Zeit verfolgte, traf er auf entschiedenen Widerspruch.
„Sich auf meinen Bruder Heinrich zu verlassen, ist der Gipfel der Einfalt!“, erklärte sie. „Wer ist er denn schon? Ein unreifes Früchtchen. Zum letzten Mal sah ich ihn bei der Beisetzung unseres Vaters in Quedlinburg. Er benahm sich sehr unpassend, die Mutter musste ihn immer wieder ermahnen.“
„Das ist fast drei Jahre her“, wandte Giselbert ein. „Damals war er erst fünfzehn Jahre alt. Einen Achtzehnjährigen nimmst du doch ernst. Oder nicht?“
„Soll das schon wieder eine Anspielung sein?“
„Keineswegs. Ich will damit nur sagen, dass wir es jetzt mit einem entschlossenen Mann zu tun haben, der nach Macht strebt. Die will er Odda entreißen und offensichtlich findet er mit seiner Absicht viel Zuspruch. Eine Schwureinung in Sachsen und Thüringen hat er schon auf seiner Seite.“
„Berichteten seine Boten. Wenn sie nur nicht übertrieben haben! Mir kommt auch verdächtig vor, dass er uns Botschaften schickt, als gehörten wir schon zu seiner Verschwörung.“
„Was ist daran verdächtig? Er hat Augen und Ohren. Odda ist mit Zorn und Tadel nicht sparsam, er wird mich schon hundertmal verdammt haben. Der Bischof von Halberstadt, den ich abblitzen ließ, hat sich natürlich bei eurer Mutter beklagt. Ich wurde vom Kämmerer Hadalt vor das Gericht des Königs geladen – und erschien nicht. Wie sollte Heinrich aus all dem nicht folgern, dass mit uns zu rechnen ist?“
„Und wenn es so wäre … Denk an Tammo, denk an die Eresburg! Kaum mehr als ein halbes Jahr ist das her. Und Tammo war ein erfahrener Kriegsmann, war immer mit meinem Vater im Felde. |199| Heinrich hat nur mit Holzschwertern gespielt und daran wird sich, vermute ich, nicht viel geändert haben. Er als Heerführer – undenkbar!“
„Ich fürchte“, sagte Herzog Giselbert eindringlich, „du begreifst nicht, was da im Gange ist. Das Ostreich ist immer noch nicht befriedet. Oddas Feinde gehen wieder in Stellung, die Sache zieht Kreise. Er steht wieder einmal am Abgrund, man braucht ihn nur noch hinabzustoßen. Du selbst hast mich doch angeklagt, weil ich das nicht erkannt und ausgenutzt hatte. Vergiss nicht, dass Herzog Eberhard mich nach Mainz zu einer Zusammenkunft geladen hat …“
Gerberga lachte schrill auf.
„Herzog Eberhard – der große Verschwörer! Seine berühmten Fußfälle vor Odda und Heinrich sind Gesprächsstoff in allen Schänken. Die Spielleute ahmen sie schon auf den Märkten nach. Mit einem solchen Helden sollten wir lieber nicht in den Kampf ziehen!“
Giselbert wusste darauf nichts zu erwidern und schwieg verstimmt.
Gerberga hüllte sich fester in ihren Umhang, weil die Märzsonne noch nicht wärmte und der Wind, der über den Fluss strich, kühler wurde. Nur der gleichmäßige Takt der Ruderschläge aus dem Unterdeck war zu vernehmen.
„Was für ein trauriges Los erwartet mich, wenn all das herauskommt“, sagte die Herzogin nach einer Weile wehleidig. „Odda wird furchtbar durchgreifen … alle werdet ihr enden wie Tammo! Und auch ich werde meine Strafe erhalten, wenn er erfährt, dass ich ihm Lothringen entreißen wollte. So wird mir nichts anderes übrig bleiben, als rechtzeitig zu fliehen. Aber wohin? Zu Hadwig … nach Paris oder
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