Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
Wohnung dieses Kumpels verließen, in der Sedar so aggressiv mit dem Messer herumgefuchtelt und Mordfantasien von sich gegeben hatte. Allerdings, so korrigierte er nun, seien sie anschließend nicht zu Sedar nach Hause, sondern noch zu ihrem Treffpunkt gegangen. Nur Sedar und er. Sie wollten noch einen Joint rauchen, und das taten sie dann auch. Sedar sei immer noch unwahrscheinlich aggressiv gewesen. Etwa 20 Minuten seien sie dort alleine gesessen. Man kann durch den Zugang, der eine Lücke im Buschwerk lässt, hinaus auf den beleuchteten Gehweg sehen, aber von dort nicht in den dunklen Spielplatz hinein. Und dann sei es eben passiert. Ein Mann sei vorbeigegangen. Er sei von links gekommen und in Richtung der Fußgängerunterführung weitergegangen. Der Mann habe eine Tasche über der Schulter getragen, das wisse er noch, näher könne er ihn aber nicht beschreiben. Sedar habe den Mann natürlich auch gesehen und noch so etwas wie »Dreckschwein« gerufen, sei aber zunächst sitzen geblieben. Dann aber, vielleicht eine Minute später, habe er plötzlich hochgeschaut, und es schien, als habe er erst jetzt begriffen, dass da ja einer vorbeigelaufen
ist, auf den er schon die ganze Nacht gewartet habe. Jedenfalls sprang er auf, rannte auf den Gehweg hinaus und lief in die Richtung davon, in die auch der Mann gegangen war. Sein Messer, mit dem er dauernd gespielt hatte, habe er noch in der Hand gehabt.
Robert selbst sei sitzen geblieben, habe nicht dabei sein wollen. Er habe zwar gehofft, dass Sedar den Mann nur schlagen würde, aber das sei wohl eine Art Selbstberuhigung oder Verdrängung gewesen. In Wahrheit habe er genau gewusst, dass er das Messer einsetzen würde. Schließlich habe er ja den ganzen Abend von nichts anderem gesprochen. Es habe schätzungsweise zwischen drei und fünf Minuten gedauert, bis Sedar zurückkam. Er sei völlig außer Atem gewesen und ganz anders als vorher, wie umgewandelt. Als ob ihm etwas Schreckliches widerfahren wäre. Und zwar ihm, und nicht dem anderen. Einen Moment habe er schon geglaubt, Sedar hätte vielleicht seinen Meister gefunden und diesmal den Kürzeren gezogen, aber dann habe er gesagt: »Los, wir hauen ab, schnell!« Auf seine Frage, was denn passiert sei, habe Sedar geantwortet: »Ich habe eine krasse Aktion gestartet. Hab den Typen platt gemacht. Der ist hinüber.« Dann seien sie schnell verschwunden, auf direktem Weg in die Wohnung von Sedar. Gesehen habe sie niemand und begegnet seien sie auch niemandem. Sedars Eltern seien nicht zu Hause gewesen. In seinem Zimmer habe ihm Sedar gesagt, dass er den Mann abgestochen hätte. Das Messer habe er noch gehabt. Er habe aber kein Blut gesehen, weder an Sedar noch an dem Messer. Allerdings sei es zugeklappt gewesen. Sedar habe es ihm gegeben mit dem Auftrag, es wegzuwerfen. Und zwar so, dass es niemand finden würde. Dann habe Sedar sich ins Bett gelegt,
er selbst sei auch nach Hause gegangen. Das Messer habe er am anderen Tag im See des Ostparks entsorgt. In hohem Bogen habe er es ins Wasser geworfen. Dass er dicht halten würde, dazu habe ihn Sedar nicht eigens auffordern müssen, das konnte er als selbstverständlich voraussetzen.
Der zuständige Staatsanwalt erwirkte einen internationalen Haftbefehl. Es hätte ja sein können, dass Sedar das Bedürfnis verspürt, die Türkei wieder zu verlassen. Egal in welches Land er gehen würde, dann hätten wir ihn wieder. Denn mit den meisten Ländern dieser Erde hat Deutschland Auslieferungsabkommen. Aber das war ihm sicher bekannt, und deshalb machten wir uns nur wenig Hoffnung.
Die Tauchergruppe der Bayerischen Bereitschaftspolizei erhielt einen Großauftrag, den sie aber nicht erfüllen konnte. Denn der nur knietiefe Ostparksee, der die Ausmaße von zwei Fußballfeldern hatte, war für Tauchgänge nicht geeignet. Und laut Experten würde eine Absuche im tiefen Schlamm dieses durch Entenkot total verdreckten Wassers der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen gleichen. Man müsste den See komplett ablassen und die vielen Tonnen Schlamm durchsieben, um überhaupt eine Chance zu haben, das Messer unter all dem vielen Unrat im See zu finden. Ein gigantischer Aufwand, der sich schon deshalb nicht lohnte, da dem Messer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohnehin keine DNA-Spuren mehr anhaften dürften. Durch die lange Liegezeit im kalten Wasser wäre die DNA längst zerstört, und da es sich bei dem Butterfly-Messer um Massenware handelte, wäre auch die
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