Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
würde er das nicht mehr machen, versicherte er. Er sei vernünftiger geworden und habe eingesehen, dass es falsch war, was er getan habe.
Obwohl in seinem Brief kein Wort der Entschuldigung, kein Wort des Bedauerns und nicht einmal die Frage stand, wie es ihr eigentlich gehe, schrieb ihm Nina zurück. Sie ließ ihn wissen, dass die Zeit mit ihm »Gott sei Dank« vorbei sei, aber sie sei ihm nicht mehr böse. Sie sei in psychologischer Behandlung gewesen und habe die Folgen dessen, was er ihr angetan habe, inzwischen einigermaßen verarbeitet. Allein schon deshalb solle er nicht einmal daran denken, dass sie sich jemals wiedersehen würden. Trotzdem wünsche sie ihm für die Zukunft alles
Gute. Nach dieser klaren Ansage erhielt sie keinen Brief mehr von ihm.
Doch eines Morgens traf sie dann doch noch ein, die gute Nachricht. Und zwar in Form einer Mitteilung des Landeskriminalamtes über die Festnahme eines gewissen Sedar M. in Hamburg. Bei einer Schlägerei in einer Diskothek war er vorläufig festgenommen worden, weil er sich nicht ausweisen konnte. Bei der Überprüfung seiner Fingerabdrücke stellte sich schnell heraus, dass er aufgrund eines Haftbefehles der Staatsanwaltschaft München I zur Festnahme ausgeschrieben war. Damit hatten wir ihn. Innerhalb von drei Tagen war er in München.
Kaum war er eingetroffen, suchte ich ihn in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim auf. Und dabei sollte mir ein grober Fehler unterlaufen, den ich schon beim Verlassen des Gefängnisses bitter bereut habe. Natürlich war mir sofort klar, was ich falsch gemacht hatte, aber da war es schon zu spät. Nur einen Moment hatte ich mich von meinen Emotionen leiten lassen und die Kontrolle verloren, und schon war es passiert. Was hatte ich falsch gemacht?
Als Sedar in die Vernehmungszelle geführt wurde, lächelte er sogar ein bisschen, als er mich sah, und gab mir artig die Hand. Er hatte eine Schreibmappe mit Unterlagen bei sich, unter anderem den Haftbefehl, in dem natürlich stand, aufgrund welcher Personenbeweise und Indizien er als überführt galt.
»Was sagst du zum Haftbefehl?«, fragte ich ihn.
»Das stimmt alles nicht, ich war das nicht«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.
»Erzähl mir keine Märchen! Wie du ja lesen konntest, bist du überführt. An deiner Täterschaft gibt es für uns
keine Zweifel. Über Schuld oder Unschuld müssen wir also nicht mehr reden.«
Sedar sprang auf, klappte seine Schreibmappe zu, schnaubte wie ein Stier, drehte sich um und verließ wortlos den Raum. Nicht ohne mir noch einen bösen Blick zuzuwerfen. »Du Idiot«, dachte ich sofort. Wobei ich aber nicht ihn meinte, sondern mich. Ich hatte ihn vor vollendete Tatsachen gestellt und damit jeden Versuch einer Rechtfertigung im Keim erstickt. Ich hatte einen Aussagewilligen abgewürgt. Der schlimmste, dilettantischste Fehler, den ein Vernehmer machen kann. Und das mir. Anstatt ihn reden und lügen zu lassen, wenn es sein musste stundenlang, reagierte ich wie eine Mimose. Wahrscheinlich, so meine spätere Analyse, hatte ich innerlich gehofft, dass er aufgrund der erdrückenden Beweislage sofort ein Geständnis ablegen würde. Als dies erkennbar nicht der Fall war, reagierte ich beleidigt oder enttäuscht und machte diesen Anfängerfehler. Ich hatte einen Moment lang vergessen, dass es nicht auf meine Wahrheit ankommt, sondern auf seine. Und wenn seine Wahrheit aus Lügen besteht, was übrigens sein gutes Recht ist, dann habe ich die gefälligst entgegenzunehmen. Noch dazu, wo eigentlich jeder erfahrene Vernehmer wissen müsste, dass Lügen oft besser sind als so manche Halbwahrheiten. Lügen können nämlich dann zum Bumerang werden, wenn sie nur dadurch erklärbar sind, dass jemand von seiner Täterschaft ablenken will. Hätte Sedar beispielsweise bestritten, jemals ein Messer namens »Freddy« besessen zu haben, obwohl dies anhand mehrerer Zeugenaussagen belegt war, wäre das ein starkes Indiz dafür gewesen, dass es sich tatsächlich um das Tatmesser gehandelt haben dürfte, dessen Besitz er
natürlich in Abrede stellen will. Andernfalls hätte er eine plausible Erklärung dafür abgeben können, wo es verblieben ist.
Sechs Monate waren vergangen und die Gerichtsverhandlung stand an. Die Witwe wohnte dem Prozess als Nebenklägerin bei. Eine unglaubliche Belastung für diese Frau, die jedes Detail hören wollte. Das war für sie Teil des Aufarbeitungsprozesses, den sie erst als abgeschlossen betrachtete, wenn der Täter
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