Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
individuelle Zuordnung zum Besitz des Täters nicht möglich. Es sei denn,
er hätte es selbst als sein Eigentum identifiziert. Aber das war nicht zu erwarten. Und unser Zeuge sah sich nicht in der Lage, dieses Messer von anderen, gleichartigen unterscheiden zu können. Er kenne sich mit Messern nicht aus, und angesehen habe er es auch nicht genau. Also wussten wir zwar, wo das Tatmesser lag, aber es nützte uns nichts.
Die Spur der Gewalt, die Sedar in diesem einen Jahr in verschiedenen Gefängnissen in Bayern hinterlassen hatte, hatte ebenfalls Folgen. Negativ für ihn, positiv für uns. So meldete sich Armin V., ein Häftling, der Zellennachbar von Sedar in der psychiatrischen Abeilung einer Justizvollzugsanstalt war und der sich öfters über die nebeneinanderliegenden Fenster mit ihm unterhalten hatte. Armin V. teilte uns mit, dass Sedar M. kurz vor seiner Abschiebung ihm gegenüber einen Mord gestanden habe. Armin V. war alles andere als ein Wunschzeuge. Seine kriminelle Karriere war beachtlich, und in allen Strafanstalten, in denen er bisher war, galt er als Zinker, Hinhänger, Verräter und Denunziant. Das allerdings bestritt er nicht, sondern stand dazu. Da er schon als 15-Jähriger in den Maßregelvollzug zu Erwachsenen gekommen und deshalb häufig Opfer Pädophiler geworden war, hatte er frühzeitig lernen müssen, sich durchzusetzen, mit Behörden umzugehen, mit Bediensteten und Patienten. Er wollte sich nichts mehr gefallen lassen und zeigte jeden an, der sich nicht normgerecht verhielt. Dabei hatte sich erwiesen, dass seine Anzeigen immer der Wahrheit entsprachen und er sich nicht ein einziges Mal einer falschen Verdächtigung schuldig gemacht hatte.
Sedar habe ihm erzählt, so der Zeuge, dass er hier zwar wegen Totschlags an zwei Jugos inhaftiert sei, aber
er habe auch einen Arzt umgebracht. Die Bullen hätten ihm das aber nicht nachweisen können. Über den Tunnelmord, wie das Verbrechen allgemein genannt wurde, habe er ihm sogar einen Zeitungsausschnitt gezeigt. Sedar habe sich selbst als »Lustmörder« bezeichnet, dem es im Übrigen auch Spaß mache, Frauen zu demütigen, so wie er seine letzte Freundin gedemütigt hatte. Die habe sogar psychologischer Behandlung bedurft hinterher. Armin V., der aus Norddeutschland stammte, definitiv nie Zeitung las und von dem Münchner Tunnelmord noch nie etwas gehört hatte, wusste sogar noch, dass Sedar in der Tatnacht mit einem Kumpel unterwegs gewesen sei und »endsauer« war wegen des Vaters seiner Freundin, der ihn gedemütigt habe.
Nachdem ihm Sedar all dies erzählt hatte, habe er ihn der Fairness halber darauf hingewiesen, dass er dies melden müsse. Daraufhin sei er einige Tage später von Sedar beim Hofgang brutal zusammengeschlagen worden.
Es gab nicht die geringsten Zweifel daran, dass der Zeuge all diese Details und Einzelheiten nur von Sedar erfahren haben konnte. Vor allem waren Staatsanwaltschaft und wir überzeugt davon, dass sich nur Sedar selbst als »Lustmörder« bezeichnet haben konnte. Eine so treffende Umschreibung des gesetzlichen Begriffs der Mordlust kann nur eigenem Empfinden entspringen. Insofern war die Aussage absolut glaubhaft. Für uns stand also fest: Sedar hatte Armin V. den Mord an Dr. Manfred W. gestanden.
Meine Theorie, dass es in 99 Prozent aller Mordfälle Mitwisser gibt und dass sich selbst die kaltblütigsten Mörder irgendwann irgendjemandem anvertrauen, hatte sich wieder einmal eindrucksvoll bestätigt.
Zwei Jahre waren vergangen, von Sedar hatten wir nichts mehr gehört. Immer wieder nahmen wir Kontakt auf mit unseren Zeugen sowie mit Personen aus seinem Umfeld, aber niemand wusste etwas. Mit einer Ausnahme. Seiner Freundin Nina hatte er geschrieben. Dass es ihm schlecht gehe in der Türkei, stand in dem Brief. Er müsse arbeiten, um überhaupt leben zu können. Aber es seien alles nur »Scheißjobs« und der Verdienst sei gleich null. Er halte es nirgends lange aus und sei auf die Unterstützung der Familie angewiesen. Aber so viel Geld könnten ihm seine Eltern auch nicht schicken. Und von den Behörden bekäme er nichts. Außerdem werde er ständig kontrolliert und könne sich nichts erlauben. Man würde ihn sofort einsperren. Er wolle wieder weg. Am liebsten zurück nach München. Aber das gehe nicht, weil dort die Bullen auf ihn lauern, wie er gehört habe. Er habe schon bereut, dass er mit ihr gestritten habe und dass sie auseinandergegangen seien. Er sei einfach schlecht drauf gewesen damals. Heute
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