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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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nicht zu. Er beschloss, zunächst keine Namen ins Spiel zu bringen und erklärte nur, er sei einem Hinweis nachgegangen. Es ginge darum, dass Lína und Ebbi anrüchige Geschäfte mit irgendwelchem Bildmaterial gemacht hätten.
    »Geht es um Porno?«
    »Etwas in der Art.«
    »Kinderporno?«
    »Das wohl nicht, aber etwas sehr Kindisches steckt schon dahinter.«
    »Mir ist gar nicht bekannt, dass uns so ein Tipp zugegangen ist«, sagte Finnur.
    »Nein«, sagte Sigurður Óli, »der ist erst heute eingegangen. Möglicherweise geht es um Erpressung, und das könnte den Besuch eines Geldeintreibers erklären. Wenn es denn einer war.«
    Finnurs Blick ließ keinen Zweifel daran, dass ihn Sigurður Ólis Ausführungen nicht wirklich überzeugten.
    »Und du wolltest dich bloß mal mit den beiden unterhalten? Das kapier ich nicht so ganz, Siggi.«
    »Der Fall ist doch noch total im Anfangsstadium.«
    »Ja, aber …«
    »Wir müssen Mr. Scrooge finden«, erklärte Sigurður Óli entschlossen, wie um zu zeigen, dass jetzt keine Zeit für lange Erklärungen sei.
    »Scrooge?«
    »Ja, diesen Ebeneser. Und nenn mich nicht Siggi.«

Sieben
    Auf dem Weg nach Hause fuhr Sigurður Óli noch einmal beim Hauptdezernat vorbei. Elínborg hatte schon Feierabend gemacht. Auf einer Bank auf dem Flur saß ein junger Bursche, der sich nicht zum ersten Mal durch kleinere kriminelle Aktivitäten, aber auch durch Gewalttätigkeit in Schwierigkeiten gebracht hatte. Sohn eines Kriminellen und einer Alkoholikerin. Dergleichen Schicksale gab es genug in Reykjavík. Sigurður Óli hatte das erste Mal mit dem Jungen zu tun gehabt, als er achtzehn war, und da hatte er bereits einige Straftaten auf dem Buckel. Seitdem waren ein paar Jahre vergangen.
    Sigurður Óli war immer noch wütend auf sich selber, weil ihm der Geldeintreiber durch die Lappen gegangen war. Auf dem Weg zu seinem Büro sah er den Jungen, zögerte und setzte sich dann neben ihn auf die Bank.
    »Und was ist jetzt schon wieder?«, fragte Sigurður Óli.
    »Nichts«, entgegnete der junge Mann.
    »Einbruch?«, fragte Sigurður Óli.
    »Geht dich nichts an.«
    »Hast du jemanden zu Brei geschlagen?«
    »Wo ist das Arschloch, das mich vernehmen soll?«
    »Mann, wie kann man nur so bescheuert sein wie du.«
    »Klappe.«
    »Du weißt ganz genau, wie bescheuert du bist.«
    »Klappe!«
    »Das ist ja auch nicht so kompliziert«, sagte Sigurður Óli, »nicht mal für Hirnis wie dich.«
    Der Junge antwortete ihm nicht.
    »Du bist ein totaler Versager.«
    »Selber einer.«
    »Was anderes wirst du nie sein«, sagte Sigurður Óli, »das weißt du.«
    Der Junge trug Handschellen und saß mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf auf der Bank. Er starrte auf den Fußboden und wartete darauf, so schnell wie möglich die Vernehmung hinter sich zu bringen, um dann wieder seiner Wege gehen zu können. Wie alle Mitarbeiter der Kriminalpolizei wusste Sigurður Óli nur zu gut, dass er beileibe nicht der Einzige war, der sich ein System zunutze machte, das vorsah, die Gefangenen freizulassen, sobald die Sachlage geklärt war. Dazu brauchte es nur ein Geständnis, und daraufhin wurde man laufen gelassen und konnte wieder seinen kriminellen Machenschaften nachgehen. Später würde es ein Urteil auf Bewährung geben. Falls sich einige Vergehen angesammelt hatten, würde man zu ein paar Monaten Haft in Litla-Hraun verknackt werden, zu mehr auf keinen Fall, und davon müsste man auch nur höchstens die Hälfte absitzen. Die Gefängnisbehörden beteiligten sich nämlich an dieser Verhätschelung, wie Sigurður Óli die Praktiken im Rechtswesen und im Strafvollzug nannte. Dieser Junge und seine Kumpanelachten sich schlapp über die laschen Richter, über offenen Strafvollzug und das Luxusleben im Knast auf Kosten des Staates.
    »Bestimmt hat dir das noch nie jemand gesagt«, fuhr Sigurður Óli fort. »Dass du ein totaler Versager bist, meine ich. Das hat dir noch niemand ins Gesicht gesagt, nicht wahr?«
    Der Junge zeigte keinerlei Reaktion.
    »Vielleicht denkst du sogar selber manchmal darüber nach, was für ein Blindgänger du bist«, sagte Sigurður Óli. »Aber höchstwahrscheinlich gibst du einfach anderen die Schuld daran. Das macht ihr alle, die anderen sind alle schuld, und ihr bemitleidet euch selber. In erster Linie schiebst du es natürlich auf deine Eltern, die leben ja genau wie du von der Sozialhilfe. Auf die Freunde. Das Schulsystem. Auf die Ausschüsse, die sich mit dir befassen mussten. Es gibt

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