Abgründig (German Edition)
einmal auf, sondern beschäftigte sich damit, einen Stein, den er in der Hand hielt, vom Schmutz zu befreien.
Tim stellte fest, dass Denis damit wieder einmal ziemlich genau das ausgedrückt hatte, was auch ihm durch den Kopf ging. Er schielte zu Sebastian, doch selbst der schien keine Lust zu haben, diesen sogenannten Hügel hochzukraxeln, und sparte sich deshalb einen Kommentar.
Ihre eigenmächtige Bergtour schien an dieser Stelle also tatsächlich zu enden, und Tim war froh darum.
Es war ausgerechnet der Jüngste unter ihnen, Fabian, der alles wieder umwarf, indem er sich direkt an Tim wandte. »Na ja, ich würde es vielleicht sogar versuchen, wo wir schon mal hier sind. Kommst du denn mit, wenn ich es probiere? Wenn es zu gefährlich wird, können wir ja immer noch abbrechen.«
Tim wollte nicht glauben, dass ausgerechnet Fabian sich auf dieses Risiko einlassen wollte. »Abbrechen? Das nützt dir wenig, wenn du einen Brocken auf den Kopf bekommen und dir den Hals gebrochen hast. Nein, tut mir leid. Ich gehe da nicht ohne Ausrüstung hoch. Das ist doch blanker Wahnsinn.«
»Wenn sogar Fabian es versucht, bin ich mit von der Partie«, sagte Janik, woraufhin sich nun offenbar auch Sebastian genötigt fühlte, mitzuziehen.
Fabian taxierte Tim, als erwartete er, dass er ihm zuliebe nachgab. Das ärgerte Tim so sehr, dass er die Flucht nach vorn antrat. »Fein, ich wünsche euch viel Spaß. Wer kommt mit mir zurück?«
»Ich«, meldete sich Julia sofort und hob zur Unterstreichung die Hand.
»Ich auch.« Die Stimme drang von einer Stelle hinter ihm und gehörte Jenny. Zu ihr drehte Tim sich nicht um, denn neben Jenny stand Lena, und die wollte er gerade auf keinen Fall ansehen. Am Ende würde das noch so wirken, als bettle er sie an, ihm zu folgen. Das ging gar nicht.
Er hoffte trotzdem, sie würde sich dafür entscheiden, mit ihm umzukehren. Dabei ging es ihm nicht einmal darum, dass sie sich damit dieses Mal nicht auf Ralfs, sondern auf seine Seite gestellt hätte. Nein, er wollte einfach nicht, dass sie sich da hochmühte und vielleicht verletzte.
Aber sie sagte nichts. Und er musste bald irgendwas tun.
Plötzlich lag eine Hand auf seiner Schulter. »Kommst du bitte kurz mal mit?«
Es war Lena, die neben ihm auftauchte und mit dem Kinn zur Seite deutete. Tim sah kurz zu den anderen, die ihn nun selbstverständlich alle anstarrten.
»Ja, klar«, sagte er so locker, wie es ihm möglich war, und folgte ihr. Innerlich fühlte er sich so angespannt wie schon lange nicht mehr. Was sollte das? Würde sie versuchen, ihn dazu zu überreden, dem großen Bergführer Ralf zu vertrauen, den sie so bewunderte? Ihrem Helden? Das würde ihr nicht gelingen. Tim mochte Lena sehr, schon von der ersten Minute an, aber er würde sich von ihr nicht zu diesem Irrsinn überreden lassen. Schon gar nicht, wenn sie Ralf damit einen Gefallen tun wollte.
Sie gingen den geschwungenen Weg zurück, bis die anderen sie nicht mehr sehen und hören konnten. Als Lena anhielt und sich zu Tim umdrehte, stockte ihm der Atem, so umwerfend gut sah sie aus. Ihre langen glatten Haare waren ebenso nass wie die aller anderen, aber anders als bei den meisten klebten sie nicht strähnig und wild durcheinander am Kopf, sondern schmiegten sich wie ein edles schwarzes Seidentuch um ihr feines Gesicht. Der Regen hatte einen nass glänzenden Film über ihre Haut gelegt, was sie geradezu majestätisch aussehen ließ. Lena lächelte ihn an, und es war, als wäre mit einem Mal eine kleine Heizung in seinem Inneren angestellt worden. Er konnte die wohlige Wärme tatsächlich körperlich spüren. Als ihre Lippen sich bewegten, konnte er nicht anders, er musste auf ihren Mund starren, der sich …
»Tim?«
»Ja?« Prickeln auf den Wangen. Verdammt. »Ähm … Tut mir leid, was hast du gesagt?«
»Ich sagte, du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mitkommst.«
Es war, als schüttete sie einen Eimer kalten Wassers über ihn, obwohl er sowieso schon keine trockene Stelle mehr am Körper hatte. Alle schönen Gedanken waren mit einem Mal verschwunden. Zurück blieb nur die Ernüchterung. Sie wollte ihn dazu bringen, Ralf zu folgen. Also doch.
Tim spürte, wie sein Körper sich ohne sein bewusstes Zutun straffte. »Nein. Ich halte das für glatten Selbstmord. Und ich muss zugeben, ich wundere mich gerade sehr. Dass Ralf versucht, die Leute zu dieser Idiotie zu überreden, passt zu ihm. Er hält sich für den absoluten Profi, hat aber überhaupt
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