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Abgründig (German Edition)

Abgründig (German Edition)

Titel: Abgründig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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Nacken und sah wenige Zentimeter über seinem Gesicht noch Lenas strampelnde Füße, bevor sie den Eisenbügel ertastet hatte, an dem er sich gerade hochdrücken wollte. Im allerletzten Moment schaffte er es, seine Hand unter ihrem Schuh herauszuziehen, bevor sie ihr Gewicht darauf verlagerte.
    Auch von unten waren jetzt Schreie und Rufe zu hören.
    »Alles okay bei dir?«, rief er nach oben.
    »Ja … Mein Gott, das … war knapp.« Lena war außer Atem. »Ich bin … abgerutscht und … wäre fast … gestürzt.«
    »Geht’s wieder?«
    »Ja, gleich.«
    »Hey, da oben! Alles klar?« Das war Ralf.
    »Ja, geht gleich weiter.«
    Zwei Minuten später zog Tim sich kurz nach Lena über den Rand und blieb erst einmal neben ihr auf dem nassen Fels liegen. Hier blies der Wind noch heftiger als unten.
    »Mein Gott, das ist ja fast ein ausgewachsener Sturm!«, rief er ihr zu. »Hast du dich verletzt?«
    »Nein, alles gut. Aber das Wetter macht mir Angst.«
    Tim sah zum Himmel, wo sich etwas Schwarzes bedrohlich schnell zusammenbraute.
    »Mir auch«, sagte er, aber so leise, dass Lena es nicht hören konnte.

9
    Sie schafften den Aufstieg alle gerade noch rechtzeitig, bevor sich ein regelrechter Orkan zu erheben schien.
    Innerhalb weniger Minuten wurde es deutlich dunkler und der Wind nahm an Stärke dermaßen zu, dass er kleine Äste, Wurzeln und sonstige, undefinierbare Dinge aufwirbelte und ihnen entgegenschleuderte. Das Wasser ergoss sich in solchen Mengen aus dem pechschwarzen Himmel, wie Tim es nie zuvor erlebt hatte. Begleitet wurde das alles von einem ohrenbetäubenden Tosen und Grollen. Eine Verständigung war nur noch möglich, wenn sie dicht neben dem anderen standen und die Worte herausschrien.
    »Wir müssen da rüber!«, brüllte Ralf Tim ins Ohr und zeigte schräg nach oben über eine Stein- und Geröllwüste, die nur hier und da von kleineren Gras- und Moosinseln unterbrochen wurde. Es war fast unmöglich, Details zu erkennen, so sehr schien die schiefe Fläche zu wabern und zu brodeln. Rasend schnell verwandelte sich ihre Umgebung in ein trist graues Chaos aus peitschendem Regen und umherfliegenden Gegenständen.
    »Nein«, antwortete Tim in der gleichen Lautstärke. »Wir können bei dem Sturm den Weg nicht verlassen. Das ist doch bescheuert.«
    »Wir haben keine Wahl. Der normale Pfad führt über ein Brett. Da geht es über eine sausteile Wand, in der nur Trittstifte stecken. Das geht schon bei gutem Wetter nicht ohne Ausrüstung. Da würden wir keine zehn Meter weit kommen. Außerdem müssen wir so schnell wie möglich zu der Hütte. Komm jetzt!«
    Lena stand zusammengekauert dicht neben Tim. Er sah sich nach den anderen um. Sie hatten sich zu einem unförmigen Klumpen aneinandergedrängt, die Köpfe tief zwischen den Schultern eingezogen. Einige hielten schützend eine Hand vor die Augen. In diesem Moment hatte Tim zum ersten Mal den Gedanken, dass sie in ernsthaften Schwierigkeiten steckten.
    Plötzlich zog etwas an seinem Ärmel. Er fuhr herum und sah Ralf, der wild mit den Händen gestikulierte.
    Als Tim ihn verständnislos ansah, winkte Ralf erst ab und deutete dann an, ihm zu folgen. Tim zog Lena mit sich und ging Ralf hinterher. Was blieb ihm auch anderes übrig? Die anderen lösten ihre Gruppe auf und setzten sich ebenfalls in Bewegung.
    Auf dem ersten Stück stellte sich ihnen der Wind wie eine Mauer entgegen, und sie mussten sich weit nach vorn beugen, um nicht umgeworfen zu werden. Tim senkte den Kopf tief, um sein Gesicht zu schützen. Wo der Regen auf die Haut prallte, stach er zu wie mit Nadelstichen. Immer öfter trafen Holzstückchen und sogar kleine Steine schmerzhaft auf seinen Kopf oder blanke Hautstellen.
    Sie bewegten sich so dicht in der Gruppe, dass sie sich aneinander festhalten konnten. Die Jungs hatten die Mädchen zwischen sich genommen. Immer wieder wurden sie zur Seite gedrückt, stolperten und fielen hin, rappelten sich wieder auf oder wurden von anderen hochgezogen. Selbst Denis blieb dicht bei den Übrigen. Er wusste, wenn er sich in dieser Situation absonderte, lief er Gefahr, den Anschluss zu verlieren.
    Sie arbeiteten sich mühsam die nicht enden wollende Schräge hinauf. Sie war bei Weitem nicht so steil wie die Schrofen zuvor, und doch zehrte der Anstieg unter diesen Umständen enorm an den Kräften.
    Irgendwann hatten sie einen kleinen Kamm erreicht, an den sich auf verhältnismäßig gerader Fläche ein kleiner Nadelwald anschloss. Zunächst war Tim erleichtert,

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