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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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überfiel Gabriel. Außerhalb des Lichtkegels der einzelnen Kerzenflamme blieb er stehen. »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst nicht wieder herkommen, Michael.«
    Seine Stimme hallte hohl durch den höhlenartigen Saal. Eine Mahnung an andere Häuser, andere Säle.
    In einer Stunde würde das Haus Gabriel von Kunden und Prostituierten wimmeln. Tabakrauch und teure Parfüms würden den Geruch von Bienenwachspolitur und Lammbraten verdecken und die Düfte eines Zuhauses in den Geruch einer Schenke verwandeln.
    Michaels Landgut und sein Stadthaus tauchten flüchtig vor Gabriels innerem Auge auf. Sie rochen nach Rosen, Lilien und Hyazinthen, Blumendüfte, die eine vom Tod durchsetzte Vergangenheit kaschierten.
    Michael trank einen Schluck Brandy, bevor er den Kristallschwenker senkte. »Du hast heute keine Zeitung gelesen, Gabriel.«
    »Verzeih mir, mon vieux «, sagte Gabriel ironisch. »Ich war beschäftigt.«
    Unten beendeten seine Bediensteten ihr Abendessen; für manche war der Arbeitstag zu Ende, für andere fing er gerade an.
    Ob Victoria noch schlief?
    Ob er ihr in ihrem Bett noch willkommen war?
    Wie wollte Delaney sie nehmen?
    Violettblaue Augen musterten Gabriel ruhig. »Du hattest eine Schlägerei.«
    »Die Straßen sind gefährlich«, wich Gabriel aus. Seine Wange brannte vom Fausthieb des Butlers. Er umfasste leicht den Silbergriff des Gehstocks, der kein Gehstock war. »Ständig versucht jemand, das zu bekommen, was ihm nicht gehört.«
    Bernsteingelber Brandy schwappte an die Seiten des Kristallschwenkers; die Narben hatten Michaels Händen nicht ihre Geschmeidigkeit genommen und auch nicht ihr Geschick, Frauen Lust zu bereiten. »Wer ist er, Gabriel?«
    Angst schnellte in Gabriel empor wie ein Tier im Käfig.
    Michael würde keine Ruhe geben, bis er die Wahrheit kannte.
    Der zweite Mann würde keine Ruhe geben, bis zwei Engel tot wären.
    Aber es gab nur einen Engel unter ihnen: Michael.
    Victoria war der einzige lebende Mensch, der diese Wahrheit kannte.
    Michaels und Gabriels Leben lagen in ihrer Hand.
    »Er ist der zweite Mann, der mich vergewaltigt hat, Michael«, antwortete Gabriel; er ließ sich auf das Spiel ein und starb mit jeder verrinnenden Sekunde ein Stück mehr.
    Wenn er jetzt zu Victoria hinaufginge, würde Michael ihm folgen, und die Wahrheit würde ans Licht kommen.
    Gabriel konnte Michael nicht töten, aber die Wahrheit würde Gabriel umbringen. Ein Männerlachen wehte von der Küche herauf.
    Bernsteingelber Brandy wirbelte in dem Kristallschwenker herum. »Sie hat dich angerührt, Gabriel.«
    Gabriel erinnerte sich an Victorias nasses Haar, das auf ihrem Körper klebte, Victorias blaue Augen, die vor Leidenschaft glühten, Victorias Lächeln über die beschönigenden französischen Worte für die Hoden eines Mannes.
    Victorias Hand, die nach seinen Hoden griff.
    »Sie hat mich angerührt, Michael«, sagte Gabriel ausdruckslos.
    Er würde töten für die Lust, Victorias Berührung zu spüren.
    Gelbes Feuer sprühte Funken.
    Michaels Augen funkelten violett im lodernden Licht. »Ein Artikel auf der Titelseite der Times berichtet von einem Selbstmord und von einem Mord.«
    Gabriel brauchte nicht zu fragen, wer die Opfer waren. Der zweite Mann hatte sich der Thorntons entledigt.
    Schlösser ließen sich leicht überwinden.
    Delaney oder der zweite Mann konnten in das Haus eingedrungen sein, während die Dienstboten anderweitig beschäftigt waren.
    »Es gibt ständig Artikel über Morde und Selbstmorde in derZeitung«, wehrte Gabriel ab. »Wenn nicht, würden die Leute sie nicht kaufen.«
    »Sir Neville Jamieson wurde durch einen Kopfschuss getötet.«
    Überraschung jagte Gabriels Rücken hinunter. Neville Jamieson war ein fast siebzigjähriger Landadeliger. Er hatte das Haus Gabriel nie besucht.
    Gabriel zuckte die Achseln und täuschte eine Gleichgültigkeit vor, die er nicht empfand. »Bedauerlich.«
    Michael wirbelte weiter den Brandy in seinem Schwenker herum, violettblaue Augen schauten abschätzig, Kristall funkelte, bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte. »Er besitzt ein Landgut in Dover.«
    Gabriel erstarrte.
    Vor neunundzwanzig Jahren hatte der Alptraum in Dover begonnen. Zwei Jahre später war Michael weggelaufen und hatte sich als blinder Passagier auf ein Schiff geschlichen, das in Calais angelegt hatte.
    Wenn Michael nicht weggelaufen wäre, hätte Gabriel ihn nie getroffen. Wenn er Michael nicht getroffen hätte, wäre er dem zweiten Mann nie begegnet. Und er

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