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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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lauschte auf das Rascheln der Seide, das Knacken eines Holzscheits, und wartete, bis sie ihren Mut wiederfand. Sie brauchte nicht lang. Die Seide zu einem Knoten vor der Brust zusammengerafft, drehte Victoria Childers – Tochter von Sir Reginald Fitzgerald, einem der reichsten Männer Englands – sich langsam zu ihm um.
    »Mein Vater wird nicht dafür zahlen, mich zurückzubekommen«, sagte sie mit stiller Würde.
    Gabriel glaubte ihr.
    »Ich habe nicht die Absicht, Sie ihm zurückzugeben«, antwortete er wahrheitsgemäß.
    »Er wird auch nicht dafür zahlen, dass Sie Stillschweigen über meinen … meinen Verstoß gegen die guten Sitten bewahren.«
    An Victorias Halsansatz pulsierte es.
    Sie hatte einen schönen Hals. Lang. Schlank. Er würde leicht brechen.
    »Ich brauche kein Geld.«
    Gabriel hatte mehr Geld, als er in zwei Leben ausgeben könnte.
    Victoria glaubte ihm nicht.
    »Warum haben Sie sich dann die Mühe gemacht, meine Herkunft auszukundschaften, wenn Sie nicht vorhaben, mich zu erpressen?«, fragte sie gepresst. »Erpressung ist der Preis der Sünde, oder nicht?«
    Seine zynische Äußerung aus ihrem Munde zu hören, erschütterte Gabriel vorübergehend. Aber es schreckte ihn nicht ab.
    »Haben Sie gesündigt, Mademoiselle?«, spottete er sanft.
    Victoria schaute ihm offen in die Augen. »Noch nicht.«
    Gabriels Hoden spannten sich.
    Vor Wut. Vor Begierde.
    Er konnte sie nicht berühren. Er wollte nicht, dass ein anderer sie berührte. Nicht so lange sie unter seinem Schutz stand.
    »Ihr Vater könnte indirekt mit dem Mann zu tun haben, der Sie hergeschickt hat«, sagte er.
    Ein rascher Atemzug war die Antwort. Gefolgt von einem schnellen Widerspruch. »Das glauben Sie doch wohl nicht ernsthaft?«
    »Nicht?«
    Gabriel wusste nicht mehr, was er glauben sollte.
    Ich glaube, du bist viel verletzlicher, als du glauben willst , hatte Michael ihm gesagt. Ja, ich glaube, mein Onkel wusste das .
    Aber wusste es auch der zweite Mann?
    »Nein, Sie glauben es nicht«, sagte Victoria bestimmt.
    Angst, Begierde und Wut, die in Gabriels Adern pochten, fanden ein Ventil.
    Er wollte diese Frau nicht begehren. Aber er tat es.
    Ja, seine Begierde machte ihn verletzlich.
    »Dann sagen Sie mir, was ich über einen Mann denken soll – einen reichen, angesehenen Mann –, der zulässt, dass seine einzige Tochter sich verkauft, um Essen und ein Dach über dem Kopf zu haben, Mademoiselle«, sagte er erbarmungslos.
    Und der sich nicht darum kümmerte, ob sie getötet oder verletzt wurde.
    Erregung flackerte in Victorias blauen Augen auf – Augen, die zu viel gesehen, zu viel erlebt, zu viel gewollt hatten. »Er weiß nicht, dass ich hier bin.«
    »Sind Sie sich da so sicher?«, spie Gabriel aus.
    »Ja, da bin ich mir sicher.« Ihre Knöchel, die die Seidendecke vor ihrer Brust umklammerten, wurden weiß. »Mein Vater hat keine Verwendung für eine Tochter.«
    Im Adelsregister war ein Sohn aufgeführt, Daniel Childers. Victoria hatte einen vier Jahre jüngeren Bruder. In einer Gesellschaft, die Vermögen und Titel nur in der männlichen Linie vererbte, war es nicht ungewöhnlich, dass Männer Söhne ihren Töchtern vorzogen.
    Gabriel wollte Victoria schonen; er konnte nicht.
    Geheimnisse töteten.
    Männer. Frauen.
    Huren.
    »Warum ist das so, Mademoiselle Childers?«, forderte er sie heraus. Der Gestank der brennenden Wolle stach ihn in die Nase. »Warum lässt ein Vater zu, dass seine Tochter Prostituierte wird?«
    Schmerz durchzuckte Gabriel – er kam von Victoria.
    Sie wandte den Blick nicht ab. »Weil mein Vater glaubt, dass Frauen Huren sind, Sir.«
    Victoria war seit achtzehn Jahren Gouvernante, hatte sie gesagt. Sie war mit sechzehn Jahren Gouvernante geworden. Entweder hatte ihr Vater Victoria aus dem Haus getrieben, oder sie hatte aus freien Stücken das Leben eines Dienstboten dem einer Dame, als die sie geboren war, vorgezogen, um seinem Regiment zu entkommen.
    Es gab noch eine Möglichkeit: Daran wollte Gabriel jedoch nicht denken.
    Er musste daran denken.
    »Er hat eine Frau geheiratet, Mademoiselle«, stachelte Gabriel sie auf.
    »Und sie war eine Hure«, erwiderte Victoria mit verkniffenen, rissigen Lippen und hoch erhobenem Kinn.
    In den Registern standen lediglich Namen und Adelsränge.
    »Ihre Mutter gehört zum Adel ohne Titel«, sagte Gabriel scharf.
    »Mein Vater glaubt, dass Frauen in Sünde geboren werden.« Die Trostlosigkeit, die Victorias Augen verdunkelte, lastete auf Gabriels Schultern.

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