Abgrund der Lust
angerührt.
Zum Teufel mit Madame René.
Victorias Neugier würde wachsen. Ebenso wie Gabriels. Sie würde sich fragen, wie es sich anfühlen mochte, einen Mann Stück für Stück in sich aufzunehmen. Er würde sich fragen, wieVictoria sich anfühlte, glattes, nasses Fleisch, das sich Stück für Stück dehnte … zwei Zoll … fünf Zoll … sieben Zoll … neun Zoll …
Er würde sich fragen, wie sie klang, wenn sie aufschrie, zuerst vor Schmerz beim Verlust ihrer Jungfräulichkeit, dann vor Lust bei ihrem ersten Höhepunkt mit einem Mann.
Er würde sich fragen, was nötig wäre, Victoria zum Betteln zu bringen.
Gabriel richtete sich auf.
»Ja, Mademoiselle Childers, er hat mich dazu gebracht, bei der Vergewaltigung Lust zu empfinden«, sagte er kalt, nachdrücklich. »Genau wie Sie Lust empfanden, als Sie die Briefe des Mannes lasen, der Sie terrorisiert.«
Gabriel kehrte ihr den Rücken zu – er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal einem Mann oder einer Frau den Rücken gekehrt hatte – und warf ihr Kleid ins Kaminfeuer. Blauer Rauch kräuselte sich den Schornstein hinauf. Gabriel war angespannt. Wenn Victoria versuchen sollte, das Wollkleid zu retten, würde er sie daran hindern.
Er wollte ihr nicht wehtun. Aber er würde es tun.
»Sie haben kein Recht, meine Kleidung zu vernichten«, sagte Victoria gepresst.
Sie versuchte nicht, ihr Kleid zu retten. Auch sie wusste, dass er ihr wehtun würde, wenn sie eingriffe.
Recht. Huren hatten keine Rechte.
Blaue Flammen leckten an einem braunen Wollärmel, erstarben.
»Sie haben lange genug auf der Straße gelebt, um zu wissen, dass Macht Recht ist«, sagte er rundheraus.
»Und Ihre Macht ist größer als meine.«
Wut lag in Victorias Ton. Es gefiel ihr nicht, auf einen Mann angewiesen zu sein. Gabriel wusste nur zu gut, wie es war, machtlos zu sein.
»Ja, Mademoiselle Childers«, er wandte sich wieder ihr zu, »meine Macht ist größer als Ihre.«
Der Gestank schwelender Wolle durchdrang das Schlafzimmer.
Victorias blaue Augen sprühten Funken. »Ich habe keine Kleider mehr.«
Kleider konnte Gabriel ihr geben.
»Madame René wird bald Kleider schicken.«
Samt. Seide. Satin. Kleider, die schön und praktisch zugleich waren.
Gabriel würde alles tun, was in seiner Macht stand, um ihr ein Leben zu verschaffen, in dem sie Spaß an diesen Kleidern finden konnte.
Victoria schob das Kinn vor; ihre Lippen waren rissig, ihre Wangenknochen traten zu scharf hervor, die Linie ihres Kinns war zu verletzlich. »Ich will keine Almosen von Ihnen.«
Nein, eine Frau wie sie wollte keine Almosen.
»Was wollen Sie dann?«, fragte Gabriel leise. Er kannte die Antwort.
Sie wollte die Lust, die ein Engel verschaffen konnte. Voir les anges . Aber wollte sie auch den Schmerz, den ein Engel bereiten konnte? La petite mort?
»Sie sagten, Sie würden mir helfen, eine Stellung als Gouvernante zu finden«, erwiderte Victoria verstockt.
Gabriel antwortete nicht.
Er wollte sie nicht im Haus eines anderen Mannes arbeiten sehen, beaufsichtigt von der Frau eines anderen Mannes, wo sie sich um die Kinder eines anderen Mannes kümmerte.
Die Spannung zwischen ihnen wuchs.
Angst. Begierde.
Eine trocknende Haarsträhne schimmerte kastanienrot im elektrischen Licht. »Ich glaube kaum, dass die Kleider, die Madame René kreiert, für eine Gouvernante geeignet sind.«
Gabriel hätte am liebsten Victorias Haar berührt, um die äußere Kühle und innere Glut ihrer Haut darunter zu spüren. Sie würde die Straße nicht überleben, vom zweiten Mann ganz zu schweigen.
Würde sie Gabriel überleben? Es war Zeit, es herauszufinden.
»Aber Sie sind keine Gouvernante, Mademoiselle Childers.« Gabriel sah ihr fest in die Augen. »Oder?«
Victoria las die Wahrheit in seinen Augen. Sie straffte die Schultern; flüchtig bedauerte er, dass ihre Brustwarzen nicht mehr hart waren. »Wie haben Sie herausgefunden, wer mein Vater ist?«
»Bibliotheken sind wunderbare Einrichtungen, Mademoiselle«, sagte Gabriel höflich. »Sämtliche Geburten und Todesfälle der vornehmen Gesellschaft werden für die breite Öffentlichkeit sorgfältig dokumentiert.«
Steif ging sie mit leicht wippenden Brüsten auf ihn zu. Steif ging sie mit sanft wiegendem Hinterteil an ihm vorbei. Gabriel beobachtete sie aus schmalen Augen. Victoria nahm die Seidendecke vom Bett und schlang sie sich unbeholfen um. Sie versteckte sich vor der Vergangenheit, die sie nicht eingestehen wollte. Gabriel
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