Abgrund der Lust
wissen, ob ich steif werde, wenn ich mit Männern zusammen bin.«
Aus seinem Ton sprach keinerlei Regung; warum raubte ihr der Schmerz plötzlich den Atem?
»Ja«, brachte sie heraus.
»Drehen Sie sich um, Mademoiselle, und schauen Sie mich an, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen.«
Langsam drehte Victoria sich um; ihre nackten Zehen rieben über das glatte Holz. Mit straffen Schultern begegnete sie seinem Blick.
Er war ausdruckslos wie der Spiegel hinter ihr.
»Ein Mann braucht für den Beischlaf keine Begierde zu empfinden, er braucht lediglich einen steifen Stachel.«
»Ich …« Sie hob das Kinn. »… verstehe nicht.«
»Madame Renés Berührung hat Sie erregt.«
Victoria atmete scharf ein. »Wie können Sie es wagen …«
»… weil Sie sich vorgestellt haben, dass ich Sie berühre.«
Ja .
Aber sie sagte es nicht.
»Geschlechtsorgane sind Apparate, Mademoiselle.« Zynismus machte seine silbernen Augen matt. »Wie mein Bad und meine Dusche. Wenn Sie einen Wasserhahn aufdrehen, kommt Wasser heraus. Gleichgültig, ob ein Mann oder eine Frau ihn aufdreht.«
Wenn das der Fall war, warum waren seine Augen dann so leer?
»Sie sagen, dass ein Mann keine Gefühle oder Emotionenbraucht, um …« Victoria rang nach Worten, sie, eine Gouvernante, die bis vor sechs Monaten noch nie das Wort Schwanz gehört hatte, »den Geschlechtsakt zu vollziehen …«
»Richtig.«
»… und dass die … die Kopulation lediglich eine reflexartige Reaktion ist, eine Sache von Ursache und Wirkung.«
»Ja.«
Sie würde den Blick nicht abwenden.
»Sie wollen also sagen, dass Sie keinen Höhepunkt erlebt haben, wenn Sie mit … einem Kunden zusammen waren?«
»Nein, Mademoiselle, das sage ich nicht«, gestand er offen.
Und wenn es weder Respekt … noch Zuneigung gibt ?
Dann ist es eine Vergewaltigung der Sinne .
»Körperliche Liebe macht Ihnen keinen Spaß«, sagte Victoria.
Gabriel stritt es nicht ab.
»Wenn Ihr Schwanz nichts anderes als ein mechanischer Apparat wäre, hätten Sie keine Angst, eine Frau zu berühren, Sir. Aber Sie haben Angst.«
Dunkelheit glitzerte in seinen Augen.
Nur eins konnte diese Dunkelheit hervorgebracht haben.
Wenn Victoria weitermachte, gäbe es kein Zurück mehr.
Er könnte sie umbringen für das, was sie gleich sagen würde. Victoria würde es ihm nicht übel nehmen. Aber es gab Schlimmeres als den Tod. Ohne tröstliche Berührungen zu leben war viel, viel schlimmer als der Tod. Victoria wusste es, weil sie sich diesen schlichten Trost über achtzehn Jahre lang versagt hatte. Sie sagte, was sie zu sagen hatte.
»Der Mann, der Sie vergewaltigt hat …« Die Warnung in Gabriels Blick versetzte Victoria einen Stich ins Herz, hielt sie aber nicht auf. »Er hat Ihnen Lust bereitet.«
Victoria war etwas überrascht, dass die knisternden Flammen im Kamin nicht gefroren.
»Er verstand es, Schmerz lustvoll zu gestalten.«
Dunkelheit löschte das Silber in Gabriels Augen aus.
»Er hat Sie dazu gebracht, Lust zu empfinden.«
Kapitel 10
»Und das werden Sie sich nie verzeihen.«
Aus Victorias Stimme sprach weibliche Überzeugung.
Jamais . Niemals.
Gabriel maß ihren Atem am Heben und Senken ihrer Brust, statt sich auf die Erinnerungen einzulassen, die ihre Worte heraufbeschworen.
Er konnte sie töten. Und sie wusste es. Oder er konnte den zweiten Mann sie töten lassen. Auch das wusste sie. Sie hatte Angst. Aber sie versteckte sich nicht hinter ihrer Angst.
Sie war die einzige Frau, die es wagte, sich seiner Vergangenheit zu stellen.
Wie hatte der zweite Mann sie gefunden?
Gabriel ging mit berechneter Zielsicherheit auf Victoria zu. Sie wich nicht zurück. Absichtlich umkreiste er sie.
Ihr Haar war am Abend zuvor noch matt und glanzlos gewesen – wie ihr Umhang. Nun schimmerte es im elektrischen Licht – ein kalter, nasser, glatter Schutzschild.
Victoria drehte sich mit Gabriel.
Er spürte die Glut ihrer Nacktheit. Sah sein Spiegelbild in ihren blauen Augen, in einem Augenblick von Angst umwölkt, im nächsten vor Verlangen glühend. Er roch seine Seife und sein Shampoo auf ihrer Haut und in ihrem Haar, männliche Düfte, feminin durch die Süße ihres Geschlechts.
Gabriel beugte sich herunter und hob ihr Kleid auf. Seine Augen waren auf einer Höhe mit ihrer Scham.
Victorias Schamhaar war dunkel und lockig. Die Lippen ihres Geschlechts waren dunkelrot wie ihre Brustwarzen.
Sie waren feucht vor Erregung. Prall vor Verlangen.
Und er hatte sie noch nicht einmal
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